Jenseits der romantisierenden Idealisierung der Bildung als Wert an sich ist das Hauptargument für die Forderung nach einem "freien Hochschulzugang", wie er derzeit von der Mehrzahl der protestierenden Studenten, aber auch von vielen Lehrenden propagiert wird, dass dieser einer sozial bestimmten Elitenbildung entgegenwirke, da sich so eben nicht nur die Kinder der "Reichen" ein Studium leisten können. Nur, der freie Hochschulzugang hat bestenfalls, wie x-fach empirisch belegt, minimale Effekte auf die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems. Das große Aussieben findet viel früher statt: im Vorschulalter, in der Volksschule, und wird dann endgültig durch die frühe Wahl des weiteren Bildungswegs im Alter von 10 Jahren einzementiert. Hier muss man ansetzen, wenn es ein Ziel ist, über das Bildungssystem sozial zu nivellieren.
Wie die unsägliche Debatte um die Verlängerung der Unterrichtszeiten für Lehrer am Anfang dieses Jahres aber gezeigt hat, sind dringend notwendige Veränderungen kaum umzusetzen. Kaum unternimmt die Bildungsministerin auch nur den Versuch einer Minimalreform, röhren die Betonköpfe der Lehrergewerkschaft ein sattes "Findet nicht statt!". - Ein Pawlow'scher Reflex erster Güte. Da wird nicht nachgedacht und schon gar nicht diskutiert. So bleiben Frühförderung eine Ausnahme, Kindergärtenplätze in ausreichender Anzahl ein Traum, Ganztagsschulen oder zumindest Ganztagsbetreuung bestenfalls eine Denkmöglichkeit. Bleiben wir sozial selektiv!
Da all dies nicht stattfindet, wirkt der freie Hochschulzugang eben so, dass er zu einer Einkommensverteilung von den Ärmeren im Land hin zu den Reicheren führt. Die Proteste der Studierenden für einen freien Hochschulzugang sind daher vor diesem Hintergrund zu sehen: Ein mehrheitlich aus sozial privilegierten Menschen bestehender Personenkreis versucht einen Transfer, der eine Umverteilung von Unten nach Oben impliziert, zu seinen Gunsten zu verteidigen. Kurioserweise ziehen dabei die sonst so zerstrittenen Studentenfraktionen des linken und des bürgerlichen Lagers an einem Strang. Angesichts des oben Ausgeführten leuchten mir die Beweggründe der Bürgerlichen dabei ein, jene der Linken erscheinen mir dann aber doch schwer nachvollziehbar, bzw. - siehe Lehrergewerkschaft - nur unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse von Iwan Pawlow.
Bleibt die Forderung nach besseren Studienbedingungen: Es ist unzweifelhaft so, dass sich die Studierenden ungleich über alle Fächer verteilen. In einigen Fächern ist der Studentenandrang so hoch, dass der Lehrbetrieb nicht mehr funktionieren kann. Typischerweise sind das auch Fächer in denen - soweit dies mit den verfügbaren Daten feststellbar ist - die Arbeitslosigkeit bei Jungakademikern zwischen 25 und 35 Jahren besonders hoch und teilweise sogar höher als die allgemeine Arbeitslosenquote ist. In anderen Fächern mit insgesamt besseren Berufsaussichten sind die Betreuungsverhältnisse zwar nicht rosig aber doch besser. - Und warum ist das so? Menschen studieren prinzipiell aus zwei Gründen: entweder weil sie sich einen guten Job nach Abschluss des Studiums erhoffen - oder aus Interesse. Bei den überfüllten Studienfächern dürfte das erste Motiv bei den meisten über den Arbeitsmarkt zumindest halbwegs informierten Studienanfängern wohl wegfallen. Bleibt also das "Interesse" - und die Frage, warum für den letzten Endes privaten Konsum eines öffentlich bereitgestellten Gutes allein Steuergelder herhalten müssen?
Damit die Qualität der Ausbildung und die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der österreichischen Universitäten steigen können, ist mittelfristig zweifellos ein Anstieg ihres Budgets notwendig. Der öffentliche Haushalt wird aber bei wachsenden Studentenzahlen die notwendigen Ausgabensteigerungen nicht allein bestreiten können. Das heißt: Um ein akzeptables Betreuungsverhältnis an den Unis garantieren zu können, müssen neue Finanzierungsquellen erschlossen werden - und schon stehen sie im Raum, die bösen Worte: Studiengebühren und Studienplatzbewirtschaftung.
Andreas Schibanys diesbezügliche Ausführungen (STANDARD, 29. 10.) sind nicht "blauäugig", wie ihm sein Kritiker vorwirft (30. 10.), sie spiegeln vielmehr eine seit langem propagierte Meinung der OECD und des Wifo: Studiengebühren, die mit einem System von Bildungskrediten, bei denen die Höhe der Rückzahlung mit dem Einkommen nach Abschluss des Studiums gekoppelt sind, wären allemal sozial gerechter als das derzeitige Arrangement.
Eine Studienplatzbewirtschaftung, bei der die Schulnoten und die individuellen Fähigkeiten eine zentrale Rolle spielen sollten, wäre auch ein Schritt, das derzeit sozial selektive Bildungssystem in ein leistungsorientiertes zu transformieren und gleichzeitig den Studierenden eine gute Betreuung zu gewährleisten.
Als jemand der an einer Hochschule mit Studienplatzbewirtschaftung und Zugangsprüfung lehrt, kann Robert Pfaller einem solchen System sicher Vorzüge abgewinnen. Doch diese Ideen stehen noch nicht einmal richtig zur Diskussion - und schon wird protestiert - reflexartig.
Ich habe unlängst in einem Vortrag im Club Research gemeint, die politisch Verantwortlichen sollten nun endlich die "Heiligen Kühe der österreichischen Bildungspolitik am Altar der Vernunft opfern", denn die Unzulänglichkeiten des Bildungsbereichs drohen zum Flaschenhals für Innovation und Wachstum in diesem Land zu werden. Ich habe den Eindruck, die Heiligen Kühe können sich noch auf ein langes Leben freuen. Die bildungspolitische Debatte in Österreich ist wenig von Vernunft, aber nachhaltig von klientelpolitischen Reflexen bestimmt. (DER STANDARD-Printausgabe, 4.11.2009)