Bevor Luis Moreno-Ocampo heute mit Kenias Präsident Mwai Kibaki und Premier Raila Odinga zusammentrifft, steht bereits fest: Willkommen ist Ocampo bei der Doppelspitze der großen Koalition, die das Land seit Ende der blutigen Unruhen im vergangenen Jahr regiert, nicht. Als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs vor gut drei Wochen ankündigte, er werde auf Untersuchungsreise nach Kenia kommen, wimmelte ihn die Regierung brüsk ab: Er solle die Reise verschieben, teilte man Ocampo mit.
Die Hintermänner der Unruhen mit mehr als 1300 Toten sind bis heute nicht belangt worden. Und das, obwohl ihre Namen in Kenia offene Geheimnisse sind: Spitzenpolitiker beider Lager, Abgeordnete, Minister und potente Geschäftsleute. Hinter ihnen steht eine Übermacht der Abgeordneten in Kenias Parlament, die seit Monaten verhindern, dass ein Sondertribunal zur Aufklärung der Gewalt eingerichtet wird. Den jüngsten Antrag des parteilosen Bürgerrechtlers Gitobu Imanyara vertagten die Parlamentarier auf unbestimmte Zeit, weil sie pünktlich in die Parlamentsferien aufbrechen mussten. "Die Straflosigkeit hat dazu geführt, dass die Gewalttäter über die Jahre immer mehr Einfluss gewonnen haben", sagt Imanyara. Bei den letzten Wahlen seien selbst Mörder ungestraft davongekommen.
"Wenn wir diese Tradition fortsetzen, wird es 2012 gar keine Wahlen mehr geben, weil die Morde in einer ganz anderen Größenordnung stattfinden werden - es wird ein Völkermord sein." Nur eine radikale Aufklärung, glaubt Imanyara, kann das verhindern.
Die Regierung ist nervös. Seit Montag beraten Runden in wechselnder Besetzung darüber, wie mit Ocampo verfahren werden soll. Justizminister Mutula Kilonzo steht mit seiner Ankündigung, voll mit Ocampo zu kooperieren, auf verlorenem Posten. Sein Vorschlag, ein internationales Straftribunal mit Sitz in Kenia einzurichten, findet schon mehr Unterstützung.
Inwiefern er tatsächlich zur Aufklärung beitragen kann, ist indes unklar. Zwar besitzt er eine Liste der mutmaßlichen Haupttäter, die eine von Kenias Regierung beauftragte Untersuchungskommission erstellt hat. Doch wie viele gerichtsverwendbare Beweise tatsächlich vorliegen, weiß niemand. Kibaki und Odinga haben Angst vor neuen Unruhen. Aktivisten und ein örtlicher Abgeordneter warnen, dass im besonders explosiven Rift Valley bereits aufgerüstet wird - diesmal mit Maschinengewehren statt mit Machete, Pfeil und Bogen. (Marc Engelhardt aus Nairobi/DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2009)