Nach acht Jahren zum Teil dramatischer Auseinandersetzungen und Rückschläge könnte also der Umbau der Europäischen Union wahrscheinlich noch in diesem Jahr beginnen. Die erste Generalprobe im Zirkus von Brüssel ist eigentlich schon während des letzten Gipfeltreffens, wenn auch noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, abgehalten worden. Es ging um das Lieblingsspiel der Spitzenvertreter der 27 Mitgliedstaaten - die Personenspekulationen bezüglich jener zwei Schlüsselpositionen, die es formell noch nicht einmal gibt: jener des Vorsitzenden des Rats der Staats- und Regierungschefs und jener des Hohen Vertreters für die Außenbeziehungen, also eines Außenministers.

Bereits vor den offiziellen Verhandlungen zeichnet sich eine Vorentscheidung über den Posten des sogenannten EU-Präsidenten ab, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird und einmal im Amt bestätigt werden kann: Der noch bis vor kurzem haushohe Favorit Tony Blair wird es nicht. Aus persönlichen und politischen Gründen wollen weder die meisten kleinen und mittleren EU-Staaten noch die Mehrheit der Vertreter der derzeit sechs sozialdemokratischen Regierungen eine charismatische Führungspersönlichkeit in dieser noch unklar definierten hauptamtlichen Schlüsselposition. Selbst der Europa-Kolumnist der "Financial Times", Quentin Peel, lehnte den britischen Vorstoß scharf ab: Blair sei der falsche Mann für die falsche Position zur falschen Zeit.

Man möchte eher einen kompromissbereiten, erfahrenen, aktiven oder ehemaligen Regierungschef als für alle EU-Staaten akzeptablen Moderator bestellen. Ob der neue Favorit, der holländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende, das Rennen machen wird, ist freilich ebenso offen wie die Frage, ob der angeblich von den meisten sozialdemokratischen Spitzenvertretern unterstützte junge britische Außenminister David Miliband zum Hohen Vertreter für die Außenbeziehungen und damit zum Vizepräsidenten der Kommission gewählt wird.

Es geht dabei auch um einen gewissen Ausgleich zwischen den Konservativen, der größten Fraktion im Europaparlament und den Sozialisten, der zweitstärksten Gruppe. Mit dem für weitere fünf Jahre gewählten portugiesischen Kommissionspräsidenten Barroso und mit dem polnischen Parlamentspräsidenten Buzek besetzen die Konservativen schon zwei Toppositionen. Der künftige Außenminister mit einem eigenen Budget und mit dem geplanten europäischen diplomatischen Dienst unter seiner Kontrolle könnte freilich eine in der Praxis noch wichtigere Funktion ausüben als der Vorsitzende des Europäischen Rates.

Wie so oft in der EU-Geschichte geben freilich nicht Konzepte und Fähigkeiten, sondern von vielen Faktoren geprägte Machtkonstellationen letzten Endes den Ausschlag. Dass Fouls und Tricks auch die nationalen Entscheidungsprozesse mitprägen, zeigt die traurige Tatsache, dass die österreichische Regierung solche international angesehenen "Zugpferde" wie die beiden früheren Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Alfred Gusenbauer oder die fähige und sprachkundige Exaußenministerin Ursula Plassnik, aus welchem Grund immer, nicht einmal ernsthaft auf der internationalen Bühne ins Gespräch gebracht hat. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2009)