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Besingen virtuos das 18. Jahrhundert: Sopranistin
Simone Kermes   und Mezzo Cecilia Bartoli

Fotos: Sony/APA

Ljubisa Tosic traf Bartoli zum Gespräch.

Es ist natürlich nach wie vor beachtlich, wie eine Anna Netrebko den öffentlichen Opernraum besetzt, wie viel Aufmerksamkeit ihr auch abseits der Welt der Klassik zugesprochen wird. Sie ist eine Marke, die für das Genre an sich steht - weit über das normale Zielpublikum hinaus. Es gab da allerdings vor ihr eine Dame, die ähnliches geschafft hat. Nicht im selben boulevardesken Ausmaß. Aber Cecilia Bartoli war vor der Netrebko jener Bestseller, der (was CD-Verkauf und Konstanz der CD-Karriere anbelangt) über all den anderen Kollegen thronte. Da die Netrebko die mediale Poleposition übernommen hat, könnte man meinen, die Bartoli wäre ein wenig ins Hintertreffen geraten. Ist aber nicht der Fall.

Zwar war sie noch nie an der Wiener Staatsoper, sie macht jedoch ein bis zwei Opernproduktionen pro Jahr und gibt an die 50 Konzerte. "Mehr sollte man keinesfalls machen, und ich halte mich daran, habe gelernt, Nein zu sagen bei den vielen Angeboten", so Bartoli im Gespräch. "Die Stimme sagt dir letztlich selbst, wo das Limit ist. Sie lässt es dich spüren. Bei den 50 Konzerten ist ja nicht nur das Singen. Man reist, muss Klimawechsel verkraften. Oper ist da leichter. Wenn man eine Premiere macht, ist man einige Wochen an einem Ort. Da ist alles leichter zu bewältigen als bei Konzerttourneen."

Wenn sie zurzeit unterwegs ist, dann natürlich auch mit dem neuen Projekt Sacrificium (Universal), das sie auch im nächsten Jahr im Wiener Musikverein präsentieren wird. Es kreist um die Barockoper und dabei insbesondere um das Repertoire der Kastraten. Wie bisher hat Cecilia Bartoli nicht einfach eine weitere CD aufgenommen. Sie hat CD und Buch zusammengeführt, somit wird man hier auf 100 Seiten wirklich auch mit umfassenden Informationen versorgt. "In Zeiten der Downloads und des Raubkopierens ergibt das für die Leute vielleicht einen stärkeren Anreiz, doch CDs zu kaufen, weil diese auch einen echten Mehrwert bieten." Der Mehrwert an Wissen handelt von einer Zeit, da in Italien jedes Jahr 4000 Knaben kastriert wurden, um ihnen eine besondere Stimme zu "erhalten". Die meisten "waren aus armen Familien, wie das halt so ist: In der Hoffnung, dass sie die Familie als Sänger ernähren würden, hat man sie dieser brutalen Prozedur ausgesetzt. Doch viele starben an Infektionen, denn da der Vorgang offiziell verboten war, wollten das Ärzte nicht machen. Also taten es oft Tierärzte. Wir haben also hier ein Projekt, das fantastische Musik enthält und von sehr traurigen Geschichten erzählt."

Die Musik von Porpora, Caldera, Vinci und anderen lebt natürlich von der Virtuosität der Bartoli. Ihr Koloraturtalent entfaltet sich in rasanten Linien, und Bartoli, assistiert vom gern sehr deutlich und ruppig phrasierenden Il Giardino Armonico, setzt auf ihr theatrales Element. Zum Effektzweck. Sie zeigt aber auch, dass sie ihre Vibratomanierismen sehr wohl zurücknehmen kann. Wer in diese Stilwelt eintauchen möchte, der erwirbt aber unbedingt auch Lava (Harmonia Mundi / Sony) von Simone Kermes. Die Leipzigerin widmet sich ebenfalls neapolitanischen Opernarien des 18. Jahrhunderts und zeigt, dass sie ganz selbstverständlich in dieser Welt des irrwitzigen vokalen Anspruchs ausdrucksvoll bestehen kann. Man muss hören, wie sie die lyrischen Passagen von Porporas Se non dovesse il pe vibratofrei mit Emotion auflädt und wie sie bei Arien der dramatischen Art für Unmittelbarkeit sorgt. Und messerscharf und klar sind natürlich ihre Koloraturideen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.11.2009)