Bild nicht mehr verfügbar.

In der Schwangerschaft kann der Grundstein für spätere Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelegt werden.

Foto: APA/dpa/Sören Stache

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Geburtsgewicht von Babys stieg in den vergangenen Jahrzehnten an.

Foto: APA/EPA/Hospital de Alecrim

Bild nicht mehr verfügbar.

In den letzten zehn Jahren hat die Anzahl der übergewichtigen Kinder um 50 Prozent zugenommen. Mediziner gehen davon aus, dass schon in den Kommenden Jahren 26 Millionen Kinder in der EU zu dick sein werden.

Foto: China Photos/Getty Images

Dicksein liege in der Familie, meint der Volksmund. Die Entdeckung eines Dicken-Gens schien das unlängst auch zu bestätigen. Die 2007 im Fachmagazin 'Science' publizierte britische Studie über genetische Risikofaktoren für Übergewicht gab dem Volksmund Recht - mit der vielfach so verstandenen Konsequenz Prävention sei sinnlos. Doch ein neues Forschungsfeld macht diese willkommene Ausrede nun zunichte. Das Risiko für Übergewicht wird demnach bereits im Mutterleib geprägt und das in weitaus geringerem Maße durch die Gene, als bisher angenommen. Denn der epidemieartige Anstieg von Übergewicht in dem relativ kurzen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren ist laut Ernährungswissenschaftern genetisch nicht erklärbar.

Auf "fett" programmiert

Das junge Forschungsfeld der perinatalen Programmierung beschäftigt sich mit der Prägung kindlicher Gehirne im Mutterleib und kurz nach der Geburt. Die Haupterkenntnis: Das Gehirn des Ungeborenen wird bereits im Mutterleib auf "dick" programmiert, wenn die Mutter während der Schwangerschaft übermäßig Gewicht zulegt oder schon übergewichtig war. Das legen neue Ergebnisse aus epidemiologischen und klinischen Studien und Tierversuchen nahe.

Von der Ratte auf den Menschen umlegbar?

Wissenschafter der Rockefeller University rund um Sarah Leibowitz haben in einem Versuch mit Rattenmüttern gezeigt, dass die Nachkommen der Mütter, die hochkalorische Kost bekamen, tatsächlich dick wurden und blieben. "Auch wir haben beim Menschen beobachtet, dass pränatale Einflüsse wie Gestationsdiabetes und Übergewicht dazu führen können, dass die Nachkommen eine Veranlagung haben dick zu sein und später Diabetes und weitere Stoffwechselstörungen entwickeln", erklärt die Medizinerin Elke Rodekamp von der Research Group "Experimental Obstetrics" an der Berliner Charité im Gespräch mit derStandard.at.

Der Grund: Während sensibler Entwicklungsphasen können vom Fötus bestimmte Funktionsweisen im Körper erworben werden. Wenn es in dieser Zeit zu Störungen kommt - etwa Übergewicht der Mutter - können Fehlprogrammierungen auftreten, die Ursache für spätere Erkrankungen sein können. Im späteren Leben haben diese Kinder ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2 und kardio-vaskuläre Folgeerkrankungen. Ein großes Thema für die Prävention, bedenkt man, dass bereits jedes vierte Kind im deutschsprachigen Raum laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) zu dick ist, Tendenz steigend, und jede dritte bis vierte Frau im gebährfähigen Alter ist im deutschsprachigen Raum übergewichtig.

Zusammenhang auch beim Menschen

Rodekamp vermutet, dass die Ergebnisse aus den Tierversuchen sehr wohl auch Aussagekraft für den Menschen haben. Die Regulation von Nahrungsaufnahme und Körpergewicht erfolgt in Hirnnervenkernen, die evolutionsbiologisch sehr alt sind. "Die Moleküle (Neuropeptide, Anm.), die dabei eine Rolle spielen, sind bei Ratten sehr ähnlich wie beim Menschen. Daher können wir schon davon ausgehen, dass die Effekte ähnlich sind", erklärt die Medizinerin den Grund für die mögliche Übertragbarkeit der Sättigungsregulation auf den Menschen.

"Wir beobachten außerdem weltweit Anstiege der Übergewichtsprävalenzen. Und darüber hinaus eine Zunahme der mittleren Geburtsgewichte", so Rodekamp. Den Einwand, das sei eine Entwicklung, die auf den Genen basiert, lässt die Medizinerin hier nicht gelten: "Das wäre eine sehr seltsame Selektion in einer sehr kurzen Zeit."

Verändertes Sättigungsgefühl im Gehirn

Die Forscher der Arbeitsgruppe an der Charité gehen davon aus, dass wir in einer Zeit der zunehmenden Fehlregulierung des Sättigungsempfindens leben. Das Sättigungsgefühl ist ein Zusammenspiel zwischen den Hormonen aus dem Fettgewebe, aus der Bauchspeicheldrüse, dem Magen-Darm-Trakt - und dem Gehirn. Im Gehirn werden Hunger und Sättigungsgefühl erzeugt. „Und das hat sich scheinbar verändert", bringt es die Medizinerin auf den Punkt. Der genaue Mechanismus dahinter ist Gegenstand der Forschung in mehreren internationalen Arbeitsgruppen. "Die Hormone Leptin (aus dem Fettgewebe, Anm.) und Insulin müssten eigentlich im Zwischenhirn für eine Sättigungsregulation sorgen. Wir vermuten, dass es da zu einer Resistenz kommt", so Rodekamp.

Die Rolle der Gene als unsere Hardware sei zwar unbestritten, aber diese sei offensichtlich modifizierbar. Tatsache ist: Die Nährstoffe, die eine Mutter zu sich nimmt, werden an das ungeborene Kind weitergegeben und das beeinflusst das Geburtsgewicht. Eine Studie zum Geburtgewicht von Kindern, die im aktuellen deutschen Ernährungsbericht veröffentlicht wurde, zeigt Folgendes: bei jenen Babys, die von Leihmüttern ausgetragen wurden, waren die Einflüsse während der Schwangerschaft durch die Leihmütter signifikanter als die der biologischen Mutter. "Die Fette, die Kohlenhydrate, die während der Schwangerschaft an das Kind weitergegeben werden, werden beim Fötus in Körpermasse umgesetzt", weiß Rodekamp den Grund.

Positiver Nutzen

Davon, dass dieses Wissen für die Prävention genutzt werden kann, ist Rodekamp überzeugt: "Es geht um die simple Erkenntnis: Der Anfang eines Lebens ist ganz entscheidend für die weitere Funktionsweise wichtiger Organsysteme. Daher ist es wichtig Krankheiten einer Frau rechtzeitig zu erkennen, am besten schon vor der Schwangerschaft." Während der Schwangerschaft sei wichtig, dass diabetische Stoffwechselstörungen erkannt werden, denn diese Zuckerstoffwechselstörung bedeute für das Kind eine Überernährung mit Kohlehydraten. Bei rechtzeitigen Erkennen eines Gestationsdiabetes könne man nicht nur das Kind, sondern auch die Frau schützen, weil Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes ein erhöhtes Risiko haben, ein paar Jahre später selbst an einem Typ2-Diabetes zu erkranken. "Das ist in doppelter Hinsicht wichtig zur für die Vorsorge", so Rodekamp. Sie ortet eine anrollende Krankheitswelle, der vorgebeugt werden muss. Adipositas während der Schwangerschaft erhöht zudem noch das Risiko für Komplikationen bei der Geburt.

Wie viel Schwangere essen sollen

"Frau darf nicht für Zwei essen, Frau muss für zwei denken", lautet das Resümee der Expertin und ihrer Arbeitsgruppe. Die Diätologin Elisabeth Schwarzberger von der Landesfrauen - und Kinderklinik Linz rät Schwangeren zu fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag: "Damit ergibt sich automatisch eine abwechslungsreichere und bekömmliche Kost." Drei Handvoll (bevorzugt grünes) Gemüse und Obst pro Tag decken den Bedarf an Eisen, Folsäure und Kalzium. Folsäure ist wichtig für die Schließung des Neuralrohrs. Weiters sollten regelmäßig Milchprodukte, Fleisch, Fisch und Fette aufgenommen werden.

Die deutsche Gesellschaft für Ernährung hat zusammen mit der österreichischen und der schweizerischen Referenzwerte für den Energiebedarf herausgegeben: im Mittel sollten Schwangere nur 200 bis 300 Kilokalorien pro Tag mehr zu sich nehmen. Das entspricht einer Scheibe Vollkornbrot mit Käse oder Joghurt mit etwas Obst - beileibe nicht viel mehr. Worauf es vielmehr ankommt ist das Was. Fazit: Prävention von Volkskrankheiten darf nicht erst im Kindesalter beginnen sondern schon im Mutterleib. (Marietta Türk, derStandard.at, 10.3.2009)