Dresden/Kabul/London - Der umstrittene Luftangriff mit zahlreichen Toten im afghanischen Kunduz hat in Deutschland ein juristisches Nachspiel. Die Bundesanwaltschaft gab am heutigen Freitag bekannt, dass sie neben völkerrechtlichen Aspekten des von einem deutschen Offizier angeforderten Angriffs auch prüfen werde, ob ein Ermittlungsverfahren gegen deutsche Soldaten eingeleitet werde. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verteidigte den Angriff vom September neuerlich als militärisch angemessen, räumte aber "Verfahrensfehler" ein.

Die bisher prüfende Generalstaatsanwaltschaft Sachsen trat den Fall am Freitag an die oberste deutsche Anklagebehörde ab. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe solle mögliche strafrechtliche Konsequenzen dahingehend prüfen, ob es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handle. Geprüft werden solle ferner, ob der vom Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordnete Luftangriff im Sinne des Völkerstrafrechts zulässig war. In diesem Fall kämen auch die Regeln des humanitären Völkerrechts zur Anwendung.

Komplexe Rechtsfragen

Die Bundesanwaltschaft reagierte zunächst zurückhaltend. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte für strafrechtliche Handlungen bei dem umstrittenen Luftangriff, teilte die Anklagebehörde in Karlsruhe mit. Auch werde es wegen der komplexen Rechtsfragen einige Zeit bis zu einer endgültigen Entscheidung dauern.

Guttenberg verteidigte den Luftangriff neuerlich. Auch wenn es die Verfahrensfehler nicht gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen, betonte er am Freitagnachmittag in Berlin. Er habe keinen Zweifel daran, dass dies angesichts der gesamten Bedrohungslage gerechtfertigt war. Der Minister bedauerte zugleich "von Herzen und zutiefst" die zivilen Opfer beim Angriff.

Der Angriff wurde angeordnet, nachdem Taliban-Rebellen zwei Tanklastwagen entführt hatten. Die deutsche Armee befürchtete, dass mit den Lastwagen ein folgenschweres Selbstmordattentat gegen ihren nahe gelegenen Stützpunkt hätte durchgeführt werden sollen. Beim Bombardement kamen dann allerdings auch zahlreiche Zivilisten ums Leben, die herbeigeeilt waren, um Benzin aus den Tanks zu zapfen. Die NATO gab die Zahl der Opfer mit 17 bis 142 an, die afghanische Regierung sprach von 69 getöteten Taliban und 30 zivilen Todesopfern.

Wie der NATO-General Egon Ramms sagte, hätten die US-Kampfjetpiloten vor dem Luftangriff wiederholt um Klarstellung des Befehls gebeten. "Sie fragten die Bodenleitstelle, ob sie die Tanklastzüge zerstören oder auf die darum versammelten Personen zielen sollten", sagte Ramms am Donnerstag in der unterirdischen Kommandozentrale im westdeutschen Linnich. "Dann baten sie darum, mit einer Machtdemonstration die versammelten Leute zu verscheuchen, bevor sie Bomben auf die Tanklastzüge abwerfen."

In dem Justizverfahren könnte auch die in Deutschland kontrovers diskutierte Frage geklärt werden, ob der Afghanistan-Einsatz als "Krieg" einzustufen ist. Guttenberg hatte dieses Wort bereits vor einigen Tagen enttabuisiert, indem er sagte, dass es in Teilen Afghanistans "fraglos kriegsähnliche Zustände" gebe. Sein Vorgänger Franz Josef Jung hatte es immer strikt abgelehnt, das Wort zu verwenden. Es wird vor allem von Gegnern des Afghanistan-Einsatzes gerne in den Mund genommen.

Die NATO gab indes die Entführung von zwei internationalen Soldaten im Westen Afghanistans bekannt. Es sei eine flächendeckende Suche eingeleitet worden, teilte das Bündnis am Freitag mit. Wie ebenfalls bekannt wurde, kamen am Vortag drei internationale Soldaten bei Anschlägen ums Leben, darunter zwei US-Soldaten. Bei einer Operation im südafghanischen Kandahar wurden fünf Aufständische gefangen genommen.

Der britische Premierminister Gordon Brown forderte den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai in einer Rede zu dringenden Reformen auf und bezeichnete dessen Regierung als "korrupt". Unter anderem forderte Brown die Schaffung einer Anti-Korruptions-Kommission und eines seriösen Gerichtshofs sowie eine Überprüfung aller Minister. Ansonsten werde es "schwierig", Kabul weiterhin internationale Unterstützung zu geben, drohte der britische Premier mit einem Truppenabzug: "Ich bin nicht bereit, die Leben britischer Männer und Frauen in Gefahr zu bringen für eine Regierung, die nichts gegen Korruption unternimmt." NATO-General Ramms bezeichnete die Diskussion über einen Abzug aus Afghanistan als kontraproduktiv. Damit würden nämlich nur jene Afghanen, die dem internationalen Engagement grundsätzlich positiv gegenüber stünden, verunsichert. (APA/AP)