Wenn sich der Europäische Gerichtshof in Straßburg ein Urteil erlaubt und darüber in Italien, wo sich wegen Berlusconi höchstens ein Lüftchen regt, ein Sturm der Entrüstung aufbrandet, dann ruft die "Kronen Zeitung" als Erstes bei Erwin Pröll an. So kam es am Donnerstag zu dem Aufmacher Erwin Pröll zum umstrittenen EU-Urteil: Kruzifix bleibt in der Klasse! Der Landeshauptmann, der offenkundig die überschüssigen Energien ablassen muss, die er sich für einen Hofburg-Kreuzzug aufgespart hat, und in der "Krone" dafür das ideale Ventil findet, schlug diesmal nicht in die Kerbe Heinz Fischer, sondern in die gleiche Kerbe wie der Vatikan und Dichand, was sich so las: "Es wundert mich nicht, wenn immer mehr Menschen von der EU die Nase voll haben - so zerfällt Europa schneller, als es zusammenwachsen kann." Ein Kassandraruf, der wohl den nun auch von Václav Klaus verlassenen "Krone"-Herausgeber trösten sollte und zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages passte wie die Faust aufs Aug.
Zur Devotionalie selbst erkannte Pröll messerscharf, ihre Entfernung aus den Klassenzimmern stelle "einen Verlust von Tradition und Heimat" dar, womit er das Kruzifix endlich in den Rang von heimatlich-spirituellen Traditionsgütern wie Uhudler und Gamsbart adelte. Die Gretchenfrage, die er damit provoziert, handelte er in anderen Worten, aber ähnlich dunkel-salopper Weise ab wie der vormalige Adressat, nämlich dass die Kreuze "so lange hängen bleiben, solange ich Landeshauptmann bin". Der für diesen Termin festgesetzte Verlust von Tradition und Heimat könnte sich mit der zeitlichen Perspektive der Straßburger Richter decken, aber zum Glück nur, wenn sich auch hierzulande ein heimat- und traditionsvergessener Kläger findet.
Etwas höher versuchte sich der Leitartikler der "Presse" über die heimatliche Scholle zu erheben. In einer kühnen Volte kam er zu dem Schluss: Kreuze im öffentlichen Raum zu verbieten klingt vernünftig - gefährdet aber die laizistische Gesellschaft. Hätte die Italienerin in ihrem verbohrten Kampf für eine laizistische Gesellschaft nicht "Die Presse" lesen können, ehe sie sich nach Straßburg wandte?
Anders nämlich als Pröll sah der Autor nicht Tradition und Heimat durch eine Entfernung der Kreuze gefährdet, sondern die Kirche durch deren Belassung in den Klassen. Was sind Kreuze in Klassenzimmern? Nur sehr eingeschränkt ein Propagandainstrument der Christenheit, darum bringen sie der Kirche selbst am wenigsten (im Gegenteil: eine privilegierte Existenz birgt immer die Gefahr, faul und fett zu werden). Eine Gefahr, der Österreichs Kirchenfürsten gelassen ins Auge blicken, wie ihre Reaktionen zeigen.
Über die "negative Glaubensfreiheit", das Recht, nicht mit unerwünschten Glaubensinhalten konfrontiert zu werden, kriegte man in der "Presse" dann doch noch die Kurve, wenn auch mit einigen Schrammen. Sie mache die Frage unlösbar, wie man im Zeitalter der Zuwanderung europäische Leitkultur definieren kann - was Pröll mit Tradition und Heimat auch für Agnostiker mühelos gelingt. Und schließlich habe auch die Klägerin ein Glaubensbekenntnis, nämlich den "Geist der Laizität". Wenn Unglauben auch Glauben ist - wozu dann die Sorge um die Definition der europäischen Leitkultur?
Wo der "Geist der Laizität" gegen die Feste von Tradition und Heimat andringt, erregte der "Falter" schon wieder Aufmerksamkeit, diesmal mit Andreas Unterbergers Beichte: "Ich bin ein schlechter Katholik." Von Julius Meinl V. war eine Woche zuvor so viel Bußfertigkeit nicht zu vernehmen. Ob das Armin Thurnhers neue Redaktionslinie ist - keine Nummer ohne Bekenntnisse eines Ausgestoßenen? Viel Erfolg hatte er beim ersten Versuch nicht, denn die Gelegenheit schien günstig, dem unermüdlichen Kämpfer gegen den Mediamil-Komplex eins auszuwischen. "Profil" sprach vom in medienethischen Fragen stets moralinsauren Chefredakteur Armin Thurnher, Freddie Kräftner erhöhte die Meinl-Schwarte zu einer Sauerei der Sonderklasse, ja eine journalistische Todsünde, während Michael Jeannée aus dem Abgrund der journalistischen Todsünde sein Dolm der Woche gegen die Linkslinken erschallen ließ. Da haben einige offenbar schon lange auf eine Gelegenheit, sich abzureagieren, gewartet.
Warum Unterberger ein schlechter Katholik ist, blieb seine Privatsache. Vielleicht weil er mit Erfolgen als Chef der "Wiener Zeitung" protzte, statt seine Rede einfach bei ja, ja, nein, nein zu belassen. Alles andere ist von Übel.(Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 7./8.11.2009)