Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit seinem Urteil vom 3. 11. 2009 die Diskussion über die Zulässigkeit, Kruzifixe in Schulen aufzuhängen, neu entfacht. Nach Meinung der Höchstrichter widerspricht das Aufhängen des Kreuzes als Symbol des Katholizismus dem Bildungspluralismus, der für eine demokratische Gesellschaft kennzeichnend ist. Das Urteil des EGMR-Richter - darunter übrigens auch ein Italiener - erfolgte einstimmig, die empörten Reaktionen seitens der italienischen Regierung sind bekannt.

Was aber folgt aus diesem Urteil für Österreich? Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer hat ja schon in einem Interview betont, dass auch seiner Meinung nach derartige Symbole wie das Kruzifix in Klassenzimmern nichts zu suchen hätten. Der Staat habe sich in religiösen Fragen streng neutral zu verhalten.

Nur: Auf welcher Rechtsgrundlage könnte der Istzustand in dieser Frage geändert werden?

Im Hinblick darauf, dass die Verpflichtung, Kreuze in Klassenzimmern anzubringen, bei uns durch das Konkordat Österreichs mit dem Heiligen Stuhl und das darauf gründende Religionsunterrichtgesetz normiert ist, muss wohl zunächst davon ausgegangen werden, dass jeder innerstaatliche Rechtszug von vornherein aussichtslos ist: Einschließlich des VfGH sind alle Behörden in Österreich an das Konkordat gebunden.

Denkbar wäre allerdings, dass jemand unter Umgehung des innerstaatlichen Instanzenwegs direkt beim EGMR eine Individualbeschwerde einbringt. Richtet sich nämlich eine Beschwerde gegen eine angeblich konventionswidrige, andauernde Situation, gegen die ein wirksamer innerstaatlicher Rechtsbehelf nicht gegeben ist, ist so ein Schritt, vorausgesetzt, es handelt sich um eine unmittelbar betroffene Person - in diesem Fall also etwa ein Schüler oder dessen Eltern - jederzeit zulässig. Was aber dann? Gesetzt den - wahrscheinlichen Fall - dem/der Klagsführenden würde vom EMRK recht gegeben: Was hieße das für die Umsetzung so eines Urteils? Womit wir wieder beim Ausgangspunkt angelangt wären: Das Konkordat zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl steht wie gesagt im Verfassungsrang. Die Republik müsste also, um nicht rechtsbrüchig zu werden, konsequenterweise den Vatikan auffordern, das Konkordat in dem hier entscheidenden Punkt abzuändern und dadurch Österreich zu ermöglichen, dem Spruch des Höchstgerichtes für Menschenrechte nachzukommen. - Eine realistische Option? Urteilen Sie selbst. (Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien)

Kreuze im Klassenzimmer II

Kreuze in Klassenzimmern verstoßen laut EGMR gegen die Menschenrechte. Viel deutlicher kann man es nicht ausdrücken. Gute Nachrichten also für die bald zwei Millionen Konfessionsfreien in Österreich. So viele sind wir. ÖVP, FPÖ und BZÖ aber weigern sich, das zur Kenntnis zu nehmen und unterstellen uns, die "österreichische Kultur" aushöhlen zu wollen, gar die Demokratie.

Der niederösterreichische Landeshauptmann kündigt öffentlich an, ein solches Urteil für Österreich zu ignorieren. Eine jahrhundertelange Tradition solle geschützt werden, heißt es. Eine solche war auch die Leibeigenschaft in Österreich - versehen mit dem Sanktus der Kirche -, die Verfolgung Andersdenkender durch Staat und Kirche ebenso. Für Atheisten ist die religiöse Verfolgung nicht so lange her. Kaum konnte Engelbert Dollfuß ohne Parlament regieren, ging's dem Freidenkerbund an den Kragen.

Unser Verein wurde noch 1933 verboten und enteignet. Im Namen eines christlichen und deutschen Österreich. Bis heute müssen konfessionsfreie Kinder im Unterricht dieses Symbol ansehen. Bis heute müssen wir uns in jedem Strafgerichtssaal dieses Landes dem Kreuz stellen. Als ob RichterInnen nach überirdischem Recht zu urteilen hätten. Das hat mit Demokratie nichts zu tun ... (Christoph Baumgarten, Vorstandsmitglied des Österreichischen Freidenkerbunds/DER STANDARD-Printausgabe, 7./8. November 2009)