Bischof Michael Bünker von der Evangelischen Kirche A.B. kann als "Protestant nur protestieren" - gegen ein aus seiner Sicht verzerrtes Religionsbild, das angeblich von der im Auftrag des Innenministeriums erstellten Studie "Integration in Österreich" gezeichnet wird (Standard, Kommentar der anderen, 31. 10.)

Sosehr mich als wissenschaftlicher Leiter der Studie - und damit als Verantwortlicher für die Ergebnisse - das breite Echo über die bisher umfangreichste empirische Integrationsstudie freut, so sehr habe ich mich über die Ausführungen des Kritikers gewundert. Zunächst unterstellt Bünker der Studie eine Unterstellung: "Unterm Strich wird unterstellt: je religiöser, umso schwieriger die Integration und umso bedenklicher für den säkularen Verfassungsstaat. Eine solche Behauptung findet sich nur nirgends in der Studie, weder unter noch über dem Strich. Schon deshalb nicht, weil sich die Studie nicht mit "Religiosität" beschäftigt, sondern mit spezifischen, nämlich politisch konnotierten religiösen Orientierungen; konkret dem Vorrang, den die Befragten entweder religiösen Vorschriften oder den hier und heute in Österreich geltenden Gesetzen einräumen.

In einem zweiten Schritt wurde darüber hinaus noch gefragt, ob die Interviewten für eine Trennung von Staat und Religion eintreten oder wollen, dass religiöse Vorschriften in die staatliche Gesetzgebung Eingang finden (sollen).

Aus diesen Fragen wurden zwei Typologien gebildet, wobei die Zugehörigkeit zu den so gebildeten Typen in der Folge als "Untergruppen" behandelt werden, wie andere Variablen auch, etwa Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Dauer des Aufenthaltes in Österreich, Herkunftsland usw. Tatsächlich zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu den einzelnen religiösen Typen und dem Vorhandensein von Vorbehalten gegenüber der österreichischen Gesellschaft, der Sicht von Geschlechter- und Familienverhältnissen, dem Ausmaß, wie sehr man sich integriert fühlt u. ä. m.

Zusammenhang bedeutet im Übrigen nicht Determination - also z. B.: Nicht alle Angehörigen eines bestimmten religiös-politischen Orientierungstyps haben Probleme mit der österreichischen Gesellschaft, sondern bei einem Typus sind es signifikant mehr als in einem anderen. Die Schlussfolgerung aus diesem Ergebnis lautet daher: Es existieren bestimmte politisch-konnotierte religiöse Orientierungen bzw. ein bestimmtes Religionsverständnis, die Integration erleichtern oder eben erschweren. Eine darüber hinausgehende substanzielle Wertung, etwa ob die jeweiligen Orientierungen "gut" oder "schlecht" sind, oder ob es sich um ein - den Lehren der jeweiligen Religion entsprechendes - "richtiges" Reli-gionsverständnis handelt, wurde selbstverständlich nicht vorgenommen. So viel zu den Fakten.

Michael Bünker nimmt dann seine Interpretation der Ergebnisse der Studie zum Anlass für grundsätzliche Ausführungen zum Verhältnis von Religion und Politik ("Religiöse Überzeugung im evangelischen Sinn drängt es notwendigerweise zur Gestaltung der Welt, sie ist in ihrem innersten Wesen nach auch politisch" ). Dabei verweist er auf zwei Gefahren (anhand von historischen bzw. rezenten Beispielen), "dass Religion der Politik die Inhalte vorschreibt" ("Zeit des austrofaschistischen Ständestaates" ) bzw. die Vereinnahmung von religiösen Inhalten und Symbolen durch die Politik (H.-C. Strache und das Kreuz).

Diese Liste erscheint mir doch etwas unvollständig, so fehlt etwa die Unterstützung autoritärer-totalitärer Regime und Bewegungen durch Vertreter der kirchlichen Hierarchie (selbst wenn diese Zweifel hinsichtlich der "religiöse Gesinnung" des Regimes gehegt haben dürften wie etwa im Nationalsozialismus). Daran waren freilich - anders als bei den ersten beiden Beispielen - auch evangelische Würdenträger beteiligt.

Selbst wenn man die geschilderten Gefahren außer Acht lässt, so ist nicht jedes religiös motivierte politische Engagement mit der Befürwortung eines demokratischen Rechtsstaates und einer offenen pluralistischen Gesellschaft vereinbar, speziell dann nicht, wenn partikulare religiöse Vorschriften in der staatlichen Gesetzgebung verankert werden sollen. Eben ein solches Religionsverständnis und daraus abgeleitete Forderungen kennzeichnet aber einen in der Studie (als "religiös-politische Integralisten" apostrophierten) vorfindbaren Typus.

Daraus können sehr wohl Probleme erwachsen, nicht aber aus einem Engagement für Menschenrechte, Rechtsstaat etc. wie es Bünker aus seinem Religionsverständnis ableitet. Und sicher nicht werden generell "religiös motivierte Menschen, die sich politisch engagieren, automatisch in die Nähe der Taliban und irgendwelcher fundamentalistischer, gewaltbereiter Abtreibungsgegner" gerichtet (so Bünker). Man sollte die Kirche im Dorf lassen, genauso wie andere Kultstätten (und bei Bedarf auch welche bauen).

Abschließend sei noch bemerkt, dass die hier behandelten Fragen nur einen - und bei weitem nicht den wichtigsten - Aspekt der "Integrationsstudie" behandeln. Andere Ergebnisse, wie, dass sich die überwiegende Mehrheit der Migrant/inn/en integriert fühlen und über private Kontakte zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft verfügen und dass sich sieben von zehn mit der österreichischen Gesellschaft sehr oder im Großen einverstanden zeigen, erscheinen doch wesentlicher. Aber auch, dass doppelt so viele (hier: aus der Türkei Stammende) negative Erfahrungen mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft zu Protokoll geben wie umgekehrt, und beinahe jede(r) zweite MigrantIn fehlende Chancen für Zuwanderer in Österreich moniert.

Dementsprechend skizziert die Studie auch Linien für eine bessere, umfassende und "dichte" Integrationspolitik, die zum einen auf die Einhaltung grundlegender Spielregeln für beide Seiten abstellen, zum anderen gerade den Migrant/inn/en Perspektiven bieten sollen.(Peter A. Ulram/DER STANDARD-Printausgabe, 7./8. November 2009)