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Die Republikaner Steve King und Pete Hoekstra entrollen eine Kopie der 1990 Seiten umfassenden Gesetzesvorlage zur Gesundheitsreform auf den Stufen des US-Kongress, um gegen das Prestigeprojekt von  Obama zu protestieren. 

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Die Sprecherin des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, bei einer Pressekonferenz nach der Abstimmung.

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Barack Obama besuchte vor der Abstimmung über seine Reform die Abgeordneten.

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Jetzt muss noch der Senat abstimmen. Änderungen des Gesetzes sind zu erwarten.

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Eigentlich ist der Samstag ein parlamentsfreier Tag, auch in Washington, doch an diesem Samstag ist alles anders. Bis Mitternacht brennt noch Licht im Kongress, im Südflügel des Parlaments, dort, wo das Repräsentantenhaus tagt. Es ist 23.15 Uhr, als Nancy Pelosi mit strahlender Miene und feierlicher Stimme das Ergebnis bekanntgibt. "220 dafür, 215 dagegen. Das Gesetz ist verabschiedet", ruft die Sprecherin der Kammer.

Wenige Minuten später verschickt der Präsident im Weißen Haus eine Mail. Ein historisches Votum sei das, jubelt Barack Obama, "wir sind nur noch zwei Schritte entfernt von dem Ziel, eine Gesundheitsreform in Amerika zu erreichen" . Am Morgen war Obama extra ins Parlament gefahren, um den Abgeordneten seiner Partei ins Gewissen zu reden. "Ruft euch ins Gedächtnis, warum ihr in die Politik gegangen seid. Macht euch klar, dass wir es uns nicht leisten können, diese Chance nicht zu nutzen" , wird er von einem zitiert, der dabei war.

Es folgt ein Nervenpoker, ein letztes Aufbäumen der sozialkonservativen Fraktion der Demokraten. Die wollen zwar für die Novelle stimmen, aber nur unter einer Bedingung: Den Krankenversicherungen soll es verboten werden, die Kosten von Abtreibungen zu decken. Ein entsprechender Zusatztext wird beschlossen, damit ist der Weg frei. Draußen schallen die Sprechchöre konservativer Demonstranten ("Kill the bill" - "Tötet das Gesetz" ) hinauf zum Kapitol. Am Ende votieren 219 Demokraten für den Entwurf, während 39 ihn ablehnen. Die Republikaner stimmen fast geschlossen mit Nein, bis auf einen. Joseph Cao, Sohn südvietnamesischer Flüchtlinge, ein Katholik aus New Orleans, hat den Mut, die Phalanx zu durchbrechen. "Oh, was für eine Nacht!", ruft Nancy Pelosi, vor Freude übersprudelnd, hinterher.

Staatliche Versicherung

Gemäß dem 1990 Seiten dicken Papierbündel sollen 36 Millionen der 47 Millionen nicht krankenversicherten Amerikaner künftig Versicherungsschutz bekommen. Eingerichtet wird eine Art Börse, an der jeder eine Polizze kaufen kann. Wer es sich nicht leisten kann, erhält Zuschüsse vom Staat. Eine noch zu gründende staatliche Versicherung soll mit privaten Anbietern konkurrieren, damit der Wettbewerb schärfer wird und potenziell die Preise für Arztbehandlungen und Medikamente sinken. Unternehmen, die pro Jahr mehr als eine halbe Million Dollar an Löhnen zahlen, werden verpflichtet, ihre Beschäftigten zu versichern. Tun sie es nicht, haben sie Strafe zu zahlen, acht Prozent aller gezahlten Gehälter. Die Versicherungen müssen mit einer weitverbreiteten Praxis brechen. Sie dürfen keinen Kunden mehr wegen einer Vorerkrankung ablehnen.

Noch aber ist die Reform nicht beschlossene Sache. Als Nächstes entscheidet der Senat über eine eigene Vorlage. Zwar geben die Demokraten dort klar den Ton an, rechnet man Unabhängige wie Joe Lieberman ein, kommen sie auf 60 der 100 Mandate. Da Lieberman und andere aber deutliche Skepsis erkennen lassen, ist keineswegs sicher, dass es am Ende reicht für die erforderliche 60-Stimmen-Mehrheit. Beobachter rechnen mit einem Gesetzentwurf der kleineren Kammer, der die Reform in wesentlichen Punkten abschwächt. Am Ende muss aus beiden Novellen, der des Repräsentantenhauses und der des Senats, ein Kompromiss geschmiedet werden. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2009)