Informationen:
www.littotropea.com
www.villaanticatropea.it

Foto: villaanticatropea.it

Blick von Tropea auf die Kirche Santa Maria dell'Isola. Diese Aussicht bietet ein schlichtes Gästezimmer in einem jahrhundertealten Nonnenkloster, den Strand hat man in der Nebensaison ganz für sich allein.

Foto: villaanticatropea.it

Dutzende Meter unterhalb des Fensterbretts gischt das Meer stetig in Richtung Sandsteinklippen. Durch das hohe Bogenfenster fällt der Blick auf die gegenüberliegende Kirche, Santa Maria dell'Isola, stolz auf einem karg bewachsenen, wasserumspülten Felshügel thronend. Und auf ein weites Meer, türkis, karibisch geradezu, die dazugehörigen Sandstrände sind weiß. Diese Aussicht gehört zu einem schlichten Gästezimmer in einem jahrhundertealten Nonnenkonvent. Klare, leicht salzige Meeresluft erfüllt den Raum.

Schwester Francesca, eine vitale Frau um die siebzig, müht sich redlich eine Steckdose in zwei Meter Höhe zu erreichen, um einen Heizstrahler für die Gäste anzuschließen. "Abends wird es schon recht kalt", sagt sie. Kalt? Für Langzeitwintergeeichte sind die Temperaturen untertags angenehm spätsommerlich. Während die einheimischen älteren Damen an leicht windigen Spätherbsttagen ihre Einkäufe schon im Pelzmantel erledigen, lässt sich für unsereins im lichtdurchfluteten Tropea die Sonne gut auch kurzärmelig genießen.

Dieses spektakulär auf Klippen gelegene, angeblich von Herkules gegründete süditalienische Städtchen ist das, was Touristiker einen Urlaubs-Hotspot nennen. Aber nur im August. Im Haupturlaubsmonat der Italiener wird das knapp 7000 Einwohner zählende Tropea nämlich von zehntausenden Erholungswilligen gekapert. Dann wälzen sich Autokolonnen langsam die Küstenstraßen zwischen Pizzo und Capo Vaticano entlang, Ferienapartments sind teuer und Strandliegen Luxus, die Gassen zwischen den Adelspalästen der Innenstadt eine laute und übervölkerte Flanierzone.

Anders in der Nebensaison. Nahezu menschenleere Strände schon ab Mitte September, ein besonders schöner zwischen Tropea und Santa Domenica. Ein wenig weiter südlich lässt sich die Aussicht von Capo Vaticano über dramatische Küstenformationen in Richtung Sizilien ganz ohne Dränglerei genießen. Und den Caffè gibt's wieder zum Einheimischenpreis.

Wer nicht mehr hinausschauen mag aufs Meer, die "Küste der Götter" entlang bis hin zum wölkchengekrönten Stromboli, der mache sich auf, um die kleinen Dörfer in den Hügeln hinter Tropea zu erkunden. Über holprige Straßen geht es bergauf, vorbei am Dorf der Restaurants, Brattirò. Vom Balkon beim Gemüsehändler hängen in dicken Flechtzöpfen die italienweit bekannten roten tropeanischen Zwiebeln, die "Cipolle rosse di Tropea".

An Olivenhainen entlangfahrend fällt auf, wie ordentlich die eingerollten Sammelnetze für die Olivenernte in den Baumkronen verstaut sind. Bei der Ortschaft Caria stutzen ältere Herren in fester Arbeitskleidung abgeerntete Olivenbäume, mit harzgeschwärzten Händen. "Die inneren Äste werden entfernt, damit viel Luft und Licht an die Oliven kommt," erklärt einer, "das tut der nächsten Ernte gut." Eine rüstige alte Frau singt beim Zitronenpflücken, der frischwürziger Duft liegt in der Luft. "Ja" sagt sie, "der Baum trägt das ganze Jahr Früchte."

Rasch kommt man ins Gespräch mit Einheimischen, die ihre Arbeit gern für ein halbes Stündchen ruhen lassen, um ihr Land, ihre "Terra" zu zeigen. Stolz werden silbrig belaubte Olivenhaine durchquert, auf einige zweihundert Jahre alte Bäume mit knorrigen Stämmen gedeutet, dort steht einer mit etwa hundert Jahren, dazwischen die Zehnjährigen. Maulbeerbäume, ein Nussbaum, Feigenbäume unterschiedlicher Sorte, darunter wächst wilder Spargel und Spinat.

Diese Menschen leben von den Produkten ihrer Gärten und Felder. Ein übers Jahr gemästetes Schwein wird zu Weihnachten geschlachtet, verarbeitet und geräuchert. Hier bei den älteren Bauern ist es noch üblich, am Schlachttag das Schwein ein letztes Mal über den Hof zu führen, es mit leisem Zureden zu beruhigen, damit kein Stress aufkommt und das Fleisch dann gut schmeckt. Dazugekauft werden nur Kaffee und Zucker, manchmal Pasta. Die Frau mit der schönen Stimme sammelt jetzt noch schnell Wildkräuter in der Wiese, für das Mittagessen. Gastfreundlich werden dicke Scheiben 'Nduja aufgetischt, eine vom Peperoncino rot gefärbt weiche Schweinswurst, so scharf, dass man ins Schwitzen gerät. Dazu dreierlei grüne und schwarze Oliven unterschiedlicher Geschmacksrichtung, gegrilltes Gemüse, hartkrustiges Weißbrot, getränkt mit dickflüssigem, fruchtig-grünem Olivenöl. Der leichte Rotwein wird im Gartenschuppen selbst hergestellt. Zum Abschluss dieser kulinarischen Offenbarung gibt es getrocknete und geröstete Feigen mit Walnusskern - und Orangen, frisch vom Baum gepflückt.

Die Erwähnung von Silvio Berlusconis Lieblingsprojekt, der Brücke von Messina, die Kalabrien mit Sizilien verbinden soll, provoziert bei den Gastgebern lediglich ein mildes Lächeln. Unglaubwürdig. Allein die Autobahnverbindung von Salerno nach Reggio Calabria, der Provinzhauptstadt ganz im Süden, harrt seit vierzig Jahren einer ordentlichen Fertigstellung. Schon kleine Ausbesserungen von Asphaltschäden auf Gemeindestraßen ziehen sich über Monate hin.

Pazienza, Geduld, darüber verfügen die einfachen Leute im Übermaß. Jedenfalls die Dagebliebenen. Denn über Jahrhunderte hinweg sind Kalabresen ausgewandert, nach Amerika und Australien, auf der Suche nach einem besseren Leben. Auch heute noch gehen sie weg, die Söhne und Töchter - zum Studium und zur Arbeit nach Turin, Mailand, Paris, Zürich. Aber manche kommen zurück, eröffnen Bars und Internetcafés. Während uralte entvölkerte Bergdörfer verfallen, wird an den wunderbaren Palästen in den Gassen von Tropea fleißig gehämmert, gemauert und renoviert.

Hier stimmt es nicht, das Klischee der arbeitsfaulen, von den mageren Pensionen ihrer Großmütter lebenden Süditaliener. Auch wenn mitunter drei unterschiedliche Gegensprechanlagen ein barockes Hausportal zieren, ist spürbar, dass die historische Baustruktur geschätzt wird - und die Zeit, um gelegentlich aufs Meer hinauszuschauen. Vielleicht sind heute sogar die Liparischen Inseln zu sehen. (Brigitte Schmidhuber/DER STANDARD/Printausgabe/7.11.2009)