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Die Empö-rung der ÖVP über das "ÖBB-Desaster" hat viele G-sichter. Hier  Verkehrssprecher Ferry Maier (li.) und junge VP-Aktivisten mit einer Bures-Pappfigur vor dem Südbahnhof.

Foto: APA/ÖVP/Jakob Glaser

Eine Erwiderung auf jüngste Äußerungen des VP-Finanzstaatssekretärs zur Unternehmensgebarung der Bundesbahn. Unter besonderer Berücksichtigung der Differenz zwischen Sach- und Vorurteil. 

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Herr Lopatka ist also in Sorge. Dies entnehme ich österreichischen Tageszeitungen. Um die ÖBB ist es schlecht bestellt, weiß er. Daher möge die zuständige Ministerin gefälligst mit ihm sprechen, unverzüglich. Er wird mit der Forderung nach einem Gipfel über die ÖBB zitiert und dem Wunsch, einen runden Tisch zu organisieren. Vielleicht benötigt es beides. Lopatka tritt auf den Plan, da die zuständige Ministerin, so zitiert ihn der Standard , "die Probleme negiert". Welche Probleme? Den Mangel an Flexibilität der Bahnmitarbeiter, das Pensionssystem der Bahn.

Und er kritisiert eine "Selbstbedienungsmentalität von Spitzengewerkschaftern und einzelnen Aufsichtsräten" in der ÖBB (der Standard Online, 7. 11. 2009). Es ist ein beliebtes Mittel, die Verfehlungen Einzelner dem gesamten Unternehmen anzulasten. Angesichts der handelnden Akteure muss daher genau gefragt werden, wer da "Haltet den Dieb" ruft: Die Affäre um abhandengekommene Handys fällt ins Jahr 2005, als der Reformeifer der damaligen Regierung innerhalb der ÖBB ungebremst war. Das Gespräch mit dem bekanntgewordenen Bezieher einer Sonderremuneration in einem der Aufsichtsräte der ÖBB kann für Lopatka also wohl nur ein fraktionsinternes sein. Und die Kritik an der Gewerkschaft gehört einfach zur Liturgie des Herrn.

Vor allem aber: Große Skandale der letzten Jahre im Bereich der ÖBB, die Derivativgeschäfte der Bahn von 2005 und eine Reihe von Immobilientransaktionen, die sämtlich vor 2007 stattfanden, konnten - innerhalb der hiefür aktienrechtlich zuständigen Gremien - oft nur gegen Widerstände aus jener Ecke aufgearbeitet werden, in der Lopatka kommentierend sitzt. Aktienrecht hin oder her.

"Runder Tisch" also, "Bahngipfel" - die Begriffswelt des Kommentators lässt tief blicken. Ein Regime muss da wohl niedergerungen werden - "runder Tisch"; Unmoral und Unvermögen müssen weichen - "Gipfel". Und der Weg ist dem Herrn vorgezeichnet: Die Bahn ist zu privatisieren, meint er, so sie denn einen Käufer findet.

Vorbild AUA? 

Mit dieser Vorstellungswelt hat das Land jüngst Erfahrungen gesammelt. Jene, die sie nicht verstehen, klärt Lopatka auf: Selbst die AUA konnte doch "privatisiert" werden. Es hat zwar einige Zeit gedauert und selbst noch im Verkauf dem Steuerzahler viel Geld gekostet, am Ende aller Anstrengung aber - ob der Ressortzuständigkeit innerhalb der Regierung für die ÖIAG und ganz ohne "Gipfel" und "rundem Tisch" - war die AUA dann tatsächlich "privatisiert".

In der Tat bedarf die ÖBB enormer Anstrengungen. Auch muss die Bahn sparen. Hiezu gibt es genügend Gelegenheit. Nicht zuletzt durch Reduktion des Overhead, der vor allem im mittleren Management in allen ÖBB-Unternehmen gegeben ist. Und welcher, insbesondere in Zeiten schwarz-bunten Wirkens, stetig angewachsen ist.

Oder im Personenverkehr: Die Bahn erbringt Leistungen, die die Besteller - diverse Landesregierungen - nicht abgelten. Folgte die ÖBB Lopatkas Zurufen, würde sie eine Vielzahl von Verbindungen im Nahverkehr nicht mehr betreiben. Und viele andere Beispiele könnten angeführt werden.

Und doch greifen sie als Erklärung derzeitiger Schwierigkeiten der Bahn zu kurz. Es sollte endlich eine Diskussion über die Bahn geführt werden, die einen langfristigen Horizont absteckt und Ziele definiert, welche die Bahn, als Unternehmen der öffentlichen Hand, umzusetzen hat.

Notwendige Fragen 

Das betrifft insbesondere die Bestimmung zukünftiger Dienstleistungen der Bahn: Welche Palette von Dienstleistungen möchte die Eigentümerin, die Republik Österreich, von der ÖBB langfristig erbracht sehen?

Schon jetzt ist klar, dass dies nicht auf der Hand liegt. Hiezu ein Beispiel: Natürlich ist es volkswirtschaftlich und aufgrund klimapolitischer Ziele sinnvoll, die Verlagerung von Personen und Güterbeförderung von der Straße auf die Schiene anzustreben - die Frage aber, ob die Dienstleistung der Bahn nur in der Beförderung (von Personen und Gütern) oder in der Beförderung auf der Schiene zu sehen ist, ist offen. Und hat man das einmal definiert, schließen sich weitere Fragen an: Innerhalb welcher Grenzen darf diese so verstandene Dienstleistung, von der öffentlichen Hand, (mit) finanziert werden? Und welcher Initiativen der Republik bedürfte es, um den zur Zeit hiefür vielleicht zu engen rechtlichen Rahmen zu erweitern?

Oder die Frage der rechtlichen Verfasstheit der Bahn: Die wesentlichen Unternehmen der Bahn, inklusive deren Holding, sind als Aktiengesellschaften verfasst. Gesetzlich scheint die Vertretung der Eigentümerin klar definiert. Woher kommt dann die Legitimation für die Forderungen nach "Gipfel" oder "rundem Tisch"? Wieso wird immer noch jede Organbesetzung in einem Unternehmen der ÖBB von der ÖVP zum Politikum gemacht? Und warum soll der Umgang mit Missständen innerhalb der ÖBB nicht den hiefür zuständigen Organen dieser AG vorbehalten sein? Sind die Zuständigkeiten doch nicht klar definiert?

Herr Lopatka sollte dies klären, bevor er weiter Vorurteile bedient. Von dem moralischen und wirtschaftlichen Jungbrunnen, der Unternehmen wie AUA und Buwog labte, sollte die Bahn jedenfalls nicht trinken. (Leo Specht, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2009)