Der Warschauer Königsweg alias "Papst-Pfad" alias "Chopin-Route" wird freilich noch immer von Johannes Paul II. vom Portal der St. Anna Kirche prüfend begutachtet.

Foto: Sascha Aumüller

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Naheliegend ist die Anreise von Wien nach Warschau freilich mit dem Schnellzug "Chopin". Allerdings bietet die polnische Fluglinie Lot mittlerweile fünf tägliche Flüge bereits ab 241 Euro inklusive aller Taxen hin und retour an. Egal, wo man dann spart: Aufgrund des vorteilhaften Zloty-Kurses bleiben unter Umständen sogar Reserven für ein Fünf-Sterne-Haus in Warschau. Standard-Doppelzimmer im Intercontinental sind zurzeit bereits ab 97 Euro zu haben. Richtig genießen wird man den Aufenthalt in einem der oberen Stockwerke, wenn man ein Zimmer mit Ausblick auf den Kulturpalast und damit auch auf die Altstadt dahinter wählt.

Gut gemachte Karten für einen Chopin-Rundgang und das praktische Büchlein "Warschau in Kürze" können über das polnische Fremdenverkehrsamt bezogen werden (Lerchenfelderstraße 8, 1080 Wien). Das Programm zum Chopin-Jahr 2010 gestaltet das Nationale Chopin-Institut. Laufende Aktualisierungen können unter: www.chopin2010.pl nachverfolgt werden. Unter dieser Adresse findet sich auch der Link auf den Audioguide, der in vierzehn Stationen mit hintergründigen Informationen durch das Warschau von Chopin führt. Hilfreich ist auch die lokale Touristeninformation, im Web zu finden unter: www.warsawtour.pl

Foto: TV Project

"Der Weg zum Herz von Chopin" ist bereits deutlich ausgeschildert: mit einem laminierten Papiertaferl auf dem mächtigen Portal der Heilig-Kreuz-Kirche. Ab Februar 2010 will Warschau dann pompöser auf den 200. Geburtstag des Komponisten hinweisen - und damit auch auf eine eigene Herzensangelegenheit: Chopin mag ja das halbe Leben in Paris verbracht haben, sein Herz aber gehörte stets Polen!

Im Inneren der Heilig-Kreuz-Kirche wird diese These zuerst einmal kräftig untermauert. Denn Frédérics Schwester Ludowika erfüllte Chopin nach dessen Tod im Jahr 1849 einen letzten Wunsch: Sie brachte sein Herz hierher zurück. Daraufhin wurde die wertvolle Innerei sicherheitshalber gleich in einen Pfeiler dieser Kirche eingemauert. Die Gebeine des Komponisten gehen schließlich bis heute mit den Parisern auf dem Friedhof Père Lachaise fremd.

Der Mythos vom "polnischen Chopin" ist damit jedenfalls organisch nicht ganz tot. Touristisch lebendig wird er aber nur durch weitere Wiederbelebungsversuche: So hat das Warschauer Tourismusbüro den als Königsweg bekannten Boulevard durch den repräsentativsten Teil der Altstadt nun kurzerhand zum "Chopin-Weg mit Chopin-Stationen" erklärt.

Der alte Papst prüft noch

Wenn Papst Johannes Paul II. diesen Weg posthum prüfend beäugt, darf man sich nicht wundern. Es ist auch sein Revier: 1957 hielt er vor der St. Anna Kirche eine seiner ersten Messen in Polen. Bis heute blickt er vom gigantisches Porträt an der Fassade und scheint sich zu fragen, was denn diese Straße noch alles erzählen soll: Papst-Pfad war sie schon - nun will sie auch noch zu den Spuren eines Komponisten führen, der hier keine zwanzig Jahre gelebt hat.

Dazu sollte man wissen, dass die Warschauer Altstadt diesbezüglich tatsächlich ein Kardinal-Problem hat: Sie ist nicht alt - oder jedenfalls jünger als Chopin. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die völlig zerstörten Gebäude detailgetreu nach Gemälden von Canaletto wieder aufgebaut. Und naturgemäß tun sich Häuser aus den 1950er-Jahren schwer, kompetent vom Leben zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu berichten. Vor allem jene Kaffeehäuser, die Chopin hier in den 1820er-Jahren frequentierte, müssen für immer schweigen. Mit Ausnahme des "Kawiarnia Telimena" sind sie alle von der Bildfläche verschwunden.

Für den Klang des Stimmengewirrs im Theatercafé "Aschenputtel" oder im "Kleinen Loch", wo sich der Komponist angeblich besonders gern aufhielt, gibt es heute MP-3-Player. Bereits in mehreren Sprachen - eine deutsche Version soll noch folgen - erzählt ein für das Jubeljahr produziertes kostenlosen Hörspiel von diesem Leben, das Chopin hier in jungen Jahren verbracht hat. Aber wer heute in der völlig veränderten Konditorei "Kawiarnia Telimena" sitzt und auf die Fiaker vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft blickt, braucht nicht einmal technische Hilfsmittel für folgendes Bild: 1830 steht hier Frédéric Chopin vor der alten Post, der heutigen Staatsanwaltschaft, und wartet auf jene Kutsche, die Warschau den Komponisten für immer nimmt und Paris bald als wertvolle Fracht überbringt.

Biografisches lebendig machen will auch das gerade im Umbau begriffene Chopin-Museum, das etwas abseits des Königswegs auf einem Hügel über der Weichsel thront. Das ist viel Arbeit, denn Schloss Ostrogski galt bisher eigentlich nur als hübscher Hort für Devotionalien.

So wie die Neueröffnung des Museums scheinen sich alle Aktivitäten im Chopin-Jahr auf ein konkretes Datum zuzuspitzen - seinen Geburtstag. Dabei ist es nicht einmal sicher, wann Chopin genau geboren wurde - am 1. März 1810, sagte er selbst, am 22. Februar, behauptet das Geburtsregister. Wer so wie das Chopin-Institut selbst auf der sicheren Seite mit dem Feiern sein will, hält sich an ein Eröffnungsprogramm, das von 22. Februar bis zum 1. März dauert.

"Auf der sicheren Seite" bewegt sich das Institut auch mit der weiteren Programmierung: Im gesamten August wird Chopin derart zu hören sein, wie man es gewöhnt ist und nur dort, wo man damit rechnet: symphonisch oder von Solisten gespielt in der Oper und in den Konzerthallen. Aufs Glatteis einer zeitgenössischen Interpretation will man vorerst nur einige junge Bewegungskünstler führen, die zu Chopin in seiner Jazzversion tanzen sollen.

Ob auch bereits zu den Klassikern zählende Jazzclubs wie der ehrwürdige Tygmont spontan ein Herz für das exilierte Geburtstagskind zeigen, bleibt abzuwarten. Es wäre logisch, denn bei den Jam-Sessions am Samstag stehen dort sowieso immer drei Generationen auf der Bühne, ein unwesentlich älterer Pole fehlt da noch. (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Printausgabe/7.11.2009)