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Fühlen sich Mitarbeiter bedrängt, reagieren sie nicht unbedingt mit Anpassung

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Zur Person

Erich Kirchler ist Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Uni Wien und Psychologe am Institut für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation

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"Die Menschen holen sich nicht etwas zurück, nur weil Krise ist", meint der Arbeitspsychologe Erich Kirchler. Vielmehr reagierten sie mit Reaktanz statt angepasstem Verhalten, wenn sie von Vorgesetzten kontrolliert werden - so entstehen Sabotagen im Betrieb. Im Interview mit Marietta Türk erklärt der Psychologe auch, wann die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren besonders bedrohlich ist und ob "menschlich richtiges Kündigen" überhaupt möglich ist.

derStandard.at: In letzter Zeit gab es vermehrt Medienberichte über Entlassungen aufgrund von Bagatelldelikten. Greifen Arbeitgeber derzeit verstärkt zur fristlosen Entlassung anstatt Mitarbeiter zu verwarnen?

Kirchler: In Krisenzeiten steigt die Nervosität und Probleme können oft viel krasser erlebt werden als in Zeiten der Routine. Manchmal könnten auch Anlässe gesucht werden, um Mitarbeiter loszuwerden, die aufgrund der geltenden Gesetze nicht gekündigt werden können. Die Toleranz für Verhaltensweisen, die von Regeln und Normen abweichen, sinkt nicht nur im Beruf, auch in der Familie wird auf Krisenzeiten unterschiedlich reagiert. Beispielsweise steigt in Zeiten der Arbeitslosigkeit die Zahl der Hospitalisierungen in psychiatrischen Anstalten, weil die Zeit und Energie für Angehörige mit psychischen Problemen geringer werden.

derStandard.at: Was kann das Gefühl der Kontrolle durch den Arbeitgeber bei Menschen bewirken? Entsteht Angst den Arbeitsplatz aufgrund von Kleinigkeiten zu verlieren?

Kirchler: Kontrolle kann zu Verunsicherung führen. In Krisenzeiten fragen sich manche, ob sie es sich überhaupt leisten können, krankheitshalber am Arbeitsplatz zu fehlen.

Die Befürchtung den Arbeitsplatz zu verlieren oder andere Einbußen zu erleiden, zieht sich durch alle Ebenen bis hinein in die Familie. Arbeitslosigkeit stellt eine Bedrohung dar und drohende Arbeitslosigkeit auch. Auch der Konkurrenzdruck unter Kollegen ist größer, eben weil die Problematik 'Arbeitsplatz haben oder nicht haben' für viele Menschen entscheidend ist.

derStandard.at: Abzweigen vom Buffet, mehrmals verwendete Leergutzettel - es gibt Überlegungen, dass sich Arbeitnehmer auch ein klein wenig von dem zurückholen, was sie scheinbar nicht bekommen z.B. gerechte Bezahlung. Kann da etwas Wahres dran sein?

Kirchler: Sabotagen im Betrieb kommen vor, das hat aber mit der derzeitigen Wirtschaftskrise nichts zu tun. Es ist nicht so, dass sich die Leute jetzt etwas zurückholen, was sie befürchten zu verlieren. Diese Annahme erscheint mir zu weit hergeholt. Aber: Wenn Toleranz abnimmt, Leute sich ungerecht behandelt fühlen, den Eindruck haben, dass ihnen Misstrauen entgegen gebracht wird, dann reagieren sie auch entsprechend.

derStandard.at: Ähnlich einer selbst erfüllenden Prophezeiung?

Kirchler: Wenn man mich kontrolliert, fühle ich, dass man mir nicht vertraut. Wenn man mir Misstrauen entgegen bringt, reagiere ich so, dass ich auch den anderen gegenüber misstrauisch bin und nicht notwendigerweise mit angepassterem Verhalten. Wenn man mich in Bedrängnis bringt, mich zu sehr einengt in meiner Freiheit - die in manchen Betrieben durchaus klein ist - dann versuche ich, mir diese Freiheit wieder herzustellen.

Unter all diesen Bedingungen können Sabotagen auftreten. Vor allem aufgrund der ungerechten Behandlung. Fühle ich mich ungerecht behandelt von einem Vorgesetzten, hole ich mir dort zurück, was man mir nimmt. Man kann aber nicht sagen: Jetzt stehlen die Leute mehr, weil Krise ist.

derStandard.at: Bei der France Telekom gibt es vermehrt Fälle von Suiziden, nachdem Mitarbeiter gekündigt wurden. Das wurde vom Konzern lange heruntergespielt. Welche Faktoren müssen aus Ihrer Sicht zusammenspielen, dass jemand diese Verzweiflungstat macht?

Kirchler: Je bedeutsamer die Arbeit für einen Menschen ist, umso problematischer ist es, sie zu verlieren. Ist jemand Brotverdiener in der Familie und für die Angehörigen verantwortlich oder muss jemand einen Kredit zurückzahlen, dann kann es schon sein, dass der Druck groß wird und die Aussichten die Zahlungen zu schaffen so gering erscheinen, dass das Leben nicht lebenswert erscheint. Dasselbe gilt für Menschen, die sich ausschließlich über ihre Arbeit definieren oder deren Ansehen in der Gesellschaft ausschließlich vom Beruf abhängt. Wahr ist - das hat man in der Vergangenheit festgestellt - dass Suizid in Zeiten der Arbeitsplatznot steigt.

derStandard.at: Wurde in Zeiten der Krise generell vermehrt ein Trend zum Mobbing durch Vorgesetzte beobachtet?

Kirchler: Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist komplex. Aber man kann sagen, wenn die Probleme steigen, Menschen nervös werden, dass dann eher Situationen auftreten, wo man sich behaupten muss, wo man "tritt" um durchzukommen. Wenn es zu eng wird - im wahrsten Sinne des Wortes - dann steigt der Pegel der Aggression.

derStandard.at: Die Situation einen Mitarbeiter zu kündigen/kündigen zu müssen ist zuweilen auch für eine Führungskraft schwierig. Ist "menschlich richtiges" Kündigen überhaupt möglich?

Kirchler: Die Überbringung einer schlechten Nachricht ist keine einfache Sache, aber Ehrlichkeit, Transparenz und nicht gespielte Verantwortung, das sind sehr wesentliche Dinge. Die Frage ist wie viel Zeit man Menschen gibt, sich darauf vorzubereiten, dass sie ihren Job verlieren. Welche Möglichkeiten man Menschen gibt, einen neuen Job zu finden und welche Hilfe geleistet werden kann? Wie sehr übernimmt man Verantwortung für die Mitarbeiter, die gekündigt werden müssen? Letztlich ist es auch wichtig erklären zu können, warum jemand gekündigt wird. Information und Erklärung ist ein ganz wichtiger Punkt um Verständnis und auch Gerechtigkeit zu schaffen.

Es ist auch wichtig der Belegschaft zu erklären, warum manche Leute entlassen werden und andere nicht. Denn es gibt so etwas wie ein Überlebenssyndrom. Diejenigen, die ihre Arbeit behalten und nicht gekündigt worden sind, freuen sich nicht unbedingt, sondern können depressiv verstimmt sein, sich schuldig fühlen.

derStandard.at: Wie kann man das erklären?

Kirchler: Weil sie ihren Vorteil nicht als nachvollziehbar gerecht erleben können. Das so genannte Survivor Syndrom gibt es nicht nur bei Unfällen: Negative Ereignisse beschäftigen Leute sehr, das sind kleine und größere Traumata, für die man Erklärungen braucht. Man muss darüber reden, damit Ereignisse begreifbar werden.

derStandard.at: Aus Sicht des Gekündigten beziehungsweise Entlassenen: Wie fasst man am besten wieder Fuß?

Kirchler: Ganz wichtig sind soziale Netze - emotionale, instrumentelle und materielle Unterstützung. Wichtig ist aktiv zu bleiben, auch wenn keine bezahlte Arbeit verrichtet wird, sondern beispielsweise eine Charity-Tätigkeit, man soll sich nicht zurücklehnen. Man kann sich zwar kurzfristig durchaus erholen und die Karriere neu planen, wenn man den Arbeitsplatzverlust so positiv nehmen kann. Es kommt aber auf längere Sicht vor allem darauf an, aktiv zu bleiben, weil sich sonst Resignation und Fatalismus einschleichen. (derStandard.at, 11.11.2009)