Immer öfter geraten Manager wegen des Verdachts auf Insiderhandel, Marktmissbrauch oder Täuschungshandlungen in das Visier einer Finanzmarktaufsicht. Bisher unbescholtene Geschäftsleute sehen sich dann Festnahmen und drastischen Verhören ausgesetzt.

Nach neuester Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg erscheint es allerdings fraglich, ob die Rechtslage in Österreich und anderswo, die solche Verhöre neben einer Verwahrungshaft erlaubt, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entspricht. Nach heimischem Recht können hiezu zwar Anwälte verständigt werden, sie müssen aber von den Behörden nicht den Vernehmungen beigezogen werden.

Nach der EGMR-Rechtsprechung in den Fällen Dayanan gegen die Türkei (7377/03 vom 13. 10. 2009) und der aktuellen Vorjudikatur (Salduz gegen die Türkei vom 27.11.2008; Imbroscia gegen Schweiz; Murray gegen UK) ist eine Praxis, die auch in Österreich üblich ist, wonach Anwälte nur am Beginn der Vernehmung vor der Polizei oder Verwaltungsbehörden anwesend sein dürfen, mit der EMRK nicht vereinbar. Der EGMR betonte die besondere Verwundbarkeit von Festgenommenen in dieser frühen Phase eines Strafverfahrens, die noch dazu eine spätere effektive Verteidigung verunmöglichen kann. Denn wenn die Verhafteten nicht hinreichend über den Schutz ihres Rechts, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, aufgeklärt werden, was ohne Anwalt kaum passiert, geben sie oft Informationen preis, die dann später gegen sie verwendet werden können. Das mag zwar der Effektivität der Strafverfolgung dienlich sein, widerspricht aber dem Fairnessgebot der EMRK.

Während die Dauer der österreichischen Verwahrungshaft ohne richterlichen Befehl nach § 36 VStG 24 Stunden dauern darf und somit nur halb so lang ist, wie die maximale Anhaltung nach französischem Recht, sieht sowohl das österreichische als auch das französische und das türkische Recht zwar den Anwaltsbesuch und die Verständigung, nicht aber die physische Präsenz der Rechtsvertreter beim Verhör vor.

Gerade die anwaltliche Vertretung würde aber die Durchsetzung anderer Verfahrensgarantien wie die verständliche Formulierung der strafrechtlichen Vorwürfe durch einen unentgeltlich beigestellten und sprachlich versierten Dolmetscher erleichtern bzw. erst ermöglichen. Sie ist aber vor allem wegen des Verbots der Selbstbezichtigung unabdingbar, das nur bei Schutz vor Überrumpelung und Einschüchterung wirksam ist. (Gerhard Strejcek, DER STANDARD, Printausgabe, 11.11.2009)