Ihr erstes Kalb bekommt eine Kuh gewöhnlich mit zwei Jahren und von da an jährlich ein weiteres. Wenn alles klappt. Denn nicht jedes Jungtier erreicht das fortpflanzungsfähige Alter. Warum das so ist, wollen Forscher an der Universität für Bodenkultur herausfinden.

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Der österreichischen Milchwirtschaft geht es schlecht. Nicht genug damit, dass sich der Milchpreis auf einer nicht enden wollenden Talfahrt befindet, ist seit einigen Jahren auch die Kälbersterblichkeit im Steigen begriffen, und bei den erwachsenen Rindern treten - wenn auch weniger als in anderen Staaten - vermehrt Fitnessprobleme auf. Eine Verbesserung der Fitness erhöht nicht nur das Wohlbefinden der betroffenen Tiere, sondern auch die Wirtschaftlichkeit. Fitness und Langlebigkeit von Rindern sind seit langem Forschungsschwerpunkte an der Wiener Universität für Bodenkultur.

In Österreich ist vor allem die Rasse Fleckvieh im Einsatz: Mit 1,6 Millionen Stück stellt es knapp 80 Prozent des heimischen Rinderbestandes. Es ist ein typisches Zweinutzungsrind, das heißt, es liefert sowohl Fleisch als auch Milch - von Letzterer durchschnittlich 7000 Kilo pro Jahr. Durch züchterische und Management-Maßnahmen können es bis zu 10.000 Kilo und mehr sein.

Erbkrankheiten untersucht

Die hohe Leistung hat allerdings einen gesundheitlichen und damit auch monetären Preis: Rund 0,8 Cent pro Kilogramm Milch entfallen auf Tierarztkosten - rechnet man Folgekosten wie etwa verringerte Milchleistung dazu, sind es gar vier Cent pro Kilo. In Österreich wurde 2006 das Projekt "Gesundheitsmonitoring.Rind" ins Leben gerufen, in dessen Rahmen sämtliche gesundheitsrelevanten Daten für die Rinder der teilnehmenden Betriebe erfasst und ausgewertet werden. Mit Februar 2009 nahmen bundesweit 11.800 Betriebe mit rund 200.000 Rindern teil. Dabei werden auch neue Zuchtziele erarbeitet, in dem die Fitness noch stärker als bisher berücksichtigt wird. Dafür ist es unter anderem notwendig festzustellen, in welchem Ausmaß die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten erblich ist.

Ersten Ergebnissen zufolge wird die Neigung zur häufigsten Krankheit, nämlich Euterentzündung, zu acht Prozent vererbt und die ebenfalls oft auftretenden Stoffwechselstörungen zu zwölf Prozent. Birgit Fürst-Waltl und Johann Sölkner vom Department für Nachhaltige Agrarsysteme der Boku befassen sich im Rahmen eines FWF-Projektes mit einem bislang vernachlässigten Aspekt, nämlich der Gesundheit und Sterblichkeit von Jungrindern.

Ihr erstes Kalb bekommt eine Kuh gewöhnlich mit zwei Jahren, und von da an, wenn alles klappt, jährlich ein weiteres. Nicht jedes Kalb erreicht das fortpflanzungsfähige Alter, doch in den herkömmlichen Zuchtprogrammen wird bei den Jungrindern nur die Sterblichkeit direkt bei der Geburt dokumentiert. Vorerhebungen an Fleckvieh ergaben, dass 3,67 Prozent der Kälber im ersten Lebensjahr sterben. Fürst-Waltl und Sölkner werden in nächster Zeit die Lebensdaten der Kälber von rund 360.000 Milchkühen unter die Lupe nehmen, um zu sehen, wo Verbesserungen möglich sind.

Überlebenskoffer fürs Rind

Ins Auge gefasst werden dabei auch die Väter. Im Rahmen des Gesundheitsmonitoring.Rind gibt es auch Angaben darüber, wie viele Töchter eines Stieres bestimmte Krankheiten bekommen haben. Zur Erfassung dieses Vatereffekts ebenso wie möglicher Umwelteinflüsse auf die Gesundheitsmerkmale der Kälber bzw. Jungrinder verwenden die Boku-Forscher unter anderem ein spezielles Computer-Programm mit dem Namen "Survival Kit". Dieser "Überlebenskoffer", den Johann Sölkner vor 15 Jahren gemeinsam mit einem französischen Kollegen geschrieben hat, wird derzeit in einem zweiten FWF-Projekt aktualisiert und besser anwendbar gemacht. Er steht allen Anwendern kostenlos zur Verfügung.

Zur Anwendung kommt das Programm übrigens weltweit nicht nur in der Rinderzucht, sondern auch in der Medizin. Thomas Waldhör und seine Kollegen von der Medizinischen Universität Wien verwendeten es unter anderem dafür, sich die räumliche Verteilung der Säuglingssterblichkeit in Österreich anzusehen. Diese ist mit 4,4 Promille prinzipiell sehr niedrig, stagniert aber seit gut zehn Jahren auf diesem Wert. Im selben Zeitraum hat die Säuglingssterblichkeit in Finnland, die von Anfang an noch geringer war, konstant abgenommen. Im Zeitraum von 1984 bis 2006 kamen in Österreich rund 1,9 Millionen Kinder zur Welt. Waldhör und seine Kollegen fütterten "Survival Kit" mit allen erdenklichen Daten zu Mutter, Kind und Umfeld all dieser Babys. Das Ergebnis war verblüffend: In der Steiermark ist die Sterblichkeit mit Abstand am geringsten. Wäre sie im ganzen Land so niedrig, hätten im Beobachtungszeitraum bundesweit 1500 Kinder mehr überlebt. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 11.11.2009)