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Sigmar Gabriel, bald neuer SPD-Chef.

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Das neue Duo an der SPD-Spitze: Von Sigmar Gabriel (Parteichef) und Andrea Nahles (Generalsekretärin) erwartet die rote Basis eine neue Führungskultur. So gut wie hier verstanden sich die beiden nicht immer.

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Weniger Basta, mehr Miteinander. Ein Besuch an der Basis.

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Die Tischtücher sind blütenweiß, das gedämpfte Licht im Berliner "Wannsee-Hof" strahlt Behaglichkeit aus. Dennoch ist Holger Thärichen mit der langen Tafel nicht zufrieden. "Das schaut ja aus wie bei einer Beerdigungsfeier", sagt der Berliner SPD-Landtagsabgeordnete und beginnt gleich, Sessel und Tische umzugruppieren. Ein paar Genossen lachen und helfen mit. "Stimmt, so schlecht geht es der SPD noch nicht", meint einer.

Im Gegenteil: Es herrscht zunächst recht fröhliche Stimmung an der Berliner Basis. Dafür sorgt ein kleiner roter Stapel auf Thärichens Platz: Parteibücher, ganz neue, keine aus dem Museum, liegen da. Gleich sechs neue Mitglieder werden an diesem Abend in der "Abteilung 8, Seenplatte" begrüßt. "Diesen Trend gibt es überall im Land" , sagt Thärichen.

Marko (31) etwa ist "erschüttert, über den Durchmarsch von Union und FDP bei der Wahl" . Jetzt, wo es der SPD so schlecht gehe, müsse man sich echt mal selber engagieren. Die "Altgenossen" klopfen zustimmend auf den Tisch.

Gabriel und Nahles auf Tour

Der 41-jährige Urs ist gekommen, obwohl er von seiner Partei tief enttäuscht wurde. "Die oben haben sich ja gar keine Mühe gegeben, die Basis in ihrer Breite mitzunehmen. Es hieß: ‚Basta, oder ich gehe‘" , erinnert er vor allem an das Drohpotenzial von Exkanzler und Exparteichef Gerhard Schröder.

Das soll jetzt ja anders werden. Der designierte Parteichef Gabriel und seine künftige Generalsekretärin Andrea Nahles reisen seit Wochen durch das Land, von Ortsverein zu Ortsverein. Früher haben sie sich nicht so verstanden, aber jetzt versichern sie einmütig, dass es künftig viel mehr Diskussion in der Partei geben wird und distanzieren sich damit von Schröder und auch vom als autoritär kritisierten Noch-Chef Franz Müntefering.

Im "Wannsee-Hof" ist sich Pensionist Konrad sicher, dass der Absturz der SPD - minus elf Punkte bei der Wahl - nicht nur am Führungsstil lag: "Wir haben den Leuten zu viel vor den Latz geknallt." Die Anhebung des Pensionsalters von 65 auf 67 Jahre, die Kürzung des Arbeitslosengeldes - all das, sei " zu schnell gegangen" . Man hätte Veränderungen behutsamer und "schrittweise" angehen müssen.

Wie aber soll es nun weitergehen? Alle Beschlüsse der vergangenen sieben Regierungsjahre wieder aufzuheben versuchen? "Auf keinen Fall" , meint Hans, ebenfalls ein Genosse im fortgeschrittenen Alter, "wir dürfen nicht alles zurückdrehen, aber wir müssen es den Leuten besser erklären." Das bedeute: "Wir müssen die Wahrheit sagen, auch wenn es weh tut."

Auf Schröder ist Hans übrigens auch nicht gut zu sprechen. Der hatte ja einmal erklärt, er brauche zum Regieren, die Bild-Zeitung, die Bild am Sonntag und "die Glotze" . "Davon, dass er auch die SPD braucht, war nicht die Rede" , meint Hans etwas spitz und hat natürlich die Lacher auf seiner Seite.

Und dennoch: Die anfängliche Heiterkeit weicht im Laufe des Abends deutlich - erst recht, als eine Genossin weint und erklärt, sie helfe nicht mehr im Straßenwahlkampf, weil sie wegen der Reformen so beschimpft worden sei.

Zu viel Konkurrenz im TV

Es ist auch so, dass ein jeder im Raum weiß, was nicht gut läuft und sich darüber gerne den Frust von der Seele redet. Aber auf die Frage, was man denn konkret besser machen könne bei der Basisarbeit, gibt es kaum Antworten. Mehr Plakate und Info-Stände fordert einer. Aber das wird gleich wieder verworfen, schon alleine, weil man zu wenig Leute hat. Besser kommt die Idee von Themen-Konferenzen an.

Die Hilflosigkeit wird deutlich, als sich Hans noch mal zu Wort meldet und erklärt, dass früher doch vieles besser gewesen sei. Denn: "Da gab es noch nicht so viele TV-Programme, da war eine SPD-Mitgliederversammlung eine echte Alternative für die Abendgestaltung." Dagegen kann auch die motivierteste Basis nichts ausrichten. Immerhin: Gabriel, der ab morgen Chef der SPD sein wird, findet man wesentlich telegener als den gescheiterten Kanzlerkandidaten Franz-Walter Steinmeier. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2009)