Die oberösterreichische ÖVP rührt in Sachen Kinderbetreuung kräftig im Finanztopf um. Mit dem Sanktus von SPÖ und FPÖ sollen Eltern künftig jährlich 700 Euro für den Verzicht auf einen Betreuungsplatz lukrieren.

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Linz/Graz - Der schwarze Schwenk passierte im Dezember des Vorjahres. Entgegen der bis dahin gefahrenen ÖVP-Linie überraschte Landeshauptmann Josef Pühringer politische Mitbewerber mit der Ankündigung, dass Vorbereitungen für einen Gratiskindergarten für alle Kinder ab drei Jahren bereits voll angelaufen seien. Mit 1. September des heurigen Jahres startete dann der Gratiskindergarten in Oberösterreich offiziell, im Landtagswahlkampf heftete sich die ÖVP dies als christlich-soziale Errungenschaft auf die Parteifahne.

"Kinderbetreuungs-Bonus" gegen grüne Stimmen

Umso mehr erstaunt jetzt der jüngste schwarze Richtungswechsel in der Familienpolitik. Auf Antrag von Landeshauptmann Josef Pühringer und Familienlandesrat Franz Hiesl (VP) wurde am vergangenen Montag von der Landesregierung gegen die Stimmen der Grünen der sogenannte "oberösterreichische Kinderbetreuungs-Bonus" von bislang 400 Euro auf jährlich 700 Euro angehoben. Entschließen sich also Eltern, auf den von der ÖVP noch vor wenigen Wochen so heftig propagierten, beitragsfreien Kindergartenbesuch zu verzichten und ihren Nachwuchs vom 37. Lebensmonat bis zum verpflichtenden Kindergartenjahr selbst zu betreuen, lässt das Land künftig jährlich 300 Euro mehr springen. Man wolle eben den Eltern die Wahlfreiheit lassen, begründet Pühringer den zusätzlichen Griff in den Landes-Säckel. Für Hiesl ist die finanzielle Unterstützung schlicht "eine Anerkennung für selbsterbrachte Betreuungsleistungen" . Dass es dadurch zu Ersparnissen beim ohnehin schwer finanzierbaren und von chronischem Personalmangel geprägten Gratiskindergarten-Modell kommt, bezweifelt der Familienlandesrat.

"Das ist sicher nicht der steirische Weg" , sagt Martin Schemeth vom Büro der zuständigen Landesrätin Elisabeth Grossmann (SP). Die oberösterreichische Kinderbetreuungs-"Bonusvariante" - Ähnliches wird auch in der neuen Koalition in Deutschland überlegt - sei in der Steiermark nie zur Diskussion gestanden. Die Steiermark (hier läuft das ganztägige Gratiskindergartenmodell seit Herbst 2008) versuche vielmehr, die Betreuungsinfrastruktur für Kinder unter sechs Jahren zügig auszubauen.

Drei Jahre und gruppenfähig

Rund 110 Millionen Euro sind im Vorjahr für entsprechende Personalförderungen an die Gemeinden ausgeschüttet worden. Der Landes-Baufonds für die Errichtung und den Ausbau von Betreuungseinrichtungen, wie Kindergärten oder Krippen, sei zuletzt von 1,4 auf neun Millionen Euro aufgestockt worden. Was letztlich auch zu einer Verdoppelung der Kindergarten-Neubauten im Vergleich zum Vorjahr führen werde, sagt Schemeth. Die Zahl der Anträge auf Neubauten erhöhte sich von rund 50 im Vorjahr auf bisher bereits über 100. Mit den massiven Förderungen hofft man, bis 2011 eine Deckung von 102 Prozent zu erreichen. Dies bedeutet, dass mehr Plätze angeboten werden, als zum Stichtag nachgefragt sind.

Experten halten wenig vom oberösterreichischen Heimbetreuungsmodell. "Der Kindergarten ist für das Erlernen intellektueller Fähigkeiten enorm wichtig. Ein Kindergartenjahr ist dafür aber sicher zu wenig" , sagt die Linzer Kinderpsychologin Sandra Wöss. Ab dem dritten Lebensjahr hätten die Kinder "plötzlich Interesse an einem sozialen Austausch" und seien "gruppenfähig" . Generell seien die Kindergartenjahre "ein enorm wichtiger Schritt in Richtung Autonomie" . Und die Kleinen würden lernen, "auch Beziehungen zu Personen außerhalb der Familie, wie eben zur Kindergärtnerin, aufzubauen" , sagt Wöss. (Markus Rohrhofer, Walter Müller/DER STANDARD-Printausgabe, 12.11.2009)