Asiatische Wurzeln und ihre Verbindung mit modernen Theorien: der Komponist und Varèse-Spezialist Chou Wen-chung

Foto: Robert Newald

Beim Festival Wien Modern wird Chou Wen-chung in zwei Veranstaltungen zu erleben sein.

Wien - "Some coffee would help" , lächelt Chou Wen-chung zur Begrüßung. Dass gut drei Wochen im novembertrüben Wien auch für einen chinesischstämmigen Amerikaner im neunten Lebensjahrzehnt nur mit reichlicher Koffeinzufuhr zu überstehen sind, erweist sich dennoch als verfrühter Schluss. Denn die Tasse bleibt in den anderthalb Stunden, die sich der Komponist für das Gespräch Zeit genommen hat, fast unberührt.

Erst gegen Ende leert er sie bedächtig und unterbricht dazu für einen Augenblick seinen stetigen, hochkonzentrierten und lebhaften Redefluss. Müsste er nicht gleich zum Wien-Modern-Konzert eilen, hätte er wohl noch lange weitererzählt. Müdigkeit scheint der 1923 geborene Chou nicht zu kennen, dafür aber reichlich Neugier und Faszination: Bei fast jeder der dichtgesäten Veranstaltungen des Festivals ist er mit Gattin zu sehen.

Seine beiden bevorstehenden Wiener Auftritte werden zwar im Zusammenhang mit der Retrospektive für Edgar Varèse stehen, mit dem der Name Chou Wen-chung unauflöslich verbunden ist, dennoch verdient nicht nur sein eigenes Komponieren Interesse, sondern auch seine Lebensgeschichte ist erzählenswert: Von Anfang an ist er, wie Chou betont, ebenso mit chinesischer wie mit westlicher Musik in Berührung gekommen. Da gab es etwa ein Harmonium, bei dem das Kind vor allem das An- und Abschwellen der Töne interessiert habe; da gab es aber auch die Musik der Dienerschaft, die für den Jungen zum Erweckungserlebnis werden sollte.

Hommage an den Lehrer

Sein Vater war unterdessen mit der Modernisierung chinesischer Städte befasst, und so kam es zu etlichen Berührungspunkten mit westlicher Kultur. Gefrühstückt habe die Familie etwa "deutsch" , dann seien immer wieder westliche Instrumente aufgetaucht, darunter auch eine Violine. Und nach der japanischen Invasion im Zweiten Weltkrieg ging die Familie nach Schanghai, damals eine Kolonie europäischer Emigranten mit unzähligen musikalischen Eindrücken.

Dort habe sich Chou auch 1937, im Todesjahr Maurice Ravels, entschlossen, Komponist zu werden, als ihm bewusst wurde, dass man das auch in der Gegenwart sein könne. Diesen Weg verfolgte er, als er mit 23 Jahren in die Vereinigten Staaten und bald nach New York ging, um an der Columbia University zu studieren, wo er später fast drei Jahrzehnte lang als Professor für Komposition unterrichtete.

Als Komponist wollte er immer Östliches und Westliches verbinden, etwa "chinesische Sensibilität mit einem modernen theoretischen Zugang" - was er 1949 in seinem Orchesterwerk Landscapes dann so erfolgreich tat, dass es von Leopold Stokowski uraufgeführt wurde. 1949 kam auch die entscheidende Begegnung mit Edgar Varèse: Chou wurde sein Meisterschüler und für die 16 Jahre bis zum Tod des Lehrers sein Assistent. Er sieht sich allerdings gegenüber Varèse als stilistisch unabhängig an, empfindet aber "eine große Verwandtschaft in der künstlerischen Haltung."

Und so kann man auch sein Schlagzeugquartett Echoes from the Gorge, das bei Wien Modern gemeinsam mit Varèses Déserts gespielt wird, als Hommage des Schülers an den Lehrer verstehen, der einige von dessen Werken in jahrelanger Arbeit herausgegeben und vervollständigt hat. Mehr von der Beziehung zwischen den beiden Komponisten dürfte zu erfahren sein, wenn Chou das Konzert moderiert - und wenn er in einem Vortrag über Musik und Naturphänomene bei Varèse sprechen wird. (Daniel Ender/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.11.2009)