10.000 Anhänger weltweit: Aufruf zu einer Demonstration in Washington für Milli (30, li.) und Hajizadeh (26).

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Der Frontbericht beginnt an einem Freitagnachmittag im Spätsommer. Ljmaximus tippt in sein Mobiltelefon: "Emin und Adnan sind gerade gekommen! Der Saal ist voll! Ich muss draußen bleiben!"

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Zwei jungen Männern wird der Prozess gemacht, in der Anklageschrift steht nicht das, was die Staatsmacht eigentlich denkt. Also ist eine Geschichte erfunden worden, und Richter und Kläger halten die Farce nun mit steinerner Miene durch. Am Ende wird eine Strafe stehen: zweieinhalb Jahre Haft wegen einer angeblichen Wirtshausschlägerei. In Baku sind noch die Mückenschwärme unterwegs, in dunklen Wolken fahren sie an den Häuserfassaden auf und ab wie in einem Aufzug. Es ist September.

Ljmaximus legt nach: "Sie wurden in einem Bus ohne Fenster hergebracht, in Handschellen, begleitet von Soldaten. Ernste Sache!" 80 bis 90 Freunde zählt der Berichterstatter vor dem Gerichtsgebäude in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, und twittert weiter. Man singt die Nationalhymne ab, das lässt sich schwer verbieten. Ein paar Diplomaten aus den westlichen Botschaften, die es auch nicht in den Saal schafften, drücken sich vor dem Eingang herum, in Gedanken schon mehr mit ihrem Wochenende beschäftigt.

Zwei Monate sind da schon vergangenen, seit die Internet-Aktivisten Emin Milli und Adnan Hajizadeh in einem Restaurant in Baku verprügelt wurden, Anzeige auf einer Polizeiwache erstatteten und dann selbst wegen Körperverletzung festgenommen wurden. Zwei weitere Monate werden vergehen, nur manchmal unterbrochen von kurzen Verhandlungsterminen. "Ladies and gentlemen, the absurdness continues" , twittert Hustlerflower, eine andere Freundin der Angeklagten, Anfang November aus dem Gerichtssaal.

Der Fall schlug schnell Wellen, die EU-Ratspräsidentschaft intervenierte, die US-Regierung, die Botschaften in Baku, denen die zwei jungen Bürgerrechtler seit langem bekannt sind. Der Westen politisiere den Fall, klagen die Minister in der früheren Sowjetrepublik am Kaspischen Meer und tun so, als ob sie auch glaubten, was sie da sagen. Die Wahrheit ist ohnehin fantastisch. Am Rand Europas, dreieinhalb Flugstunden von Wien, graben sich die riesigen Bohrmaschinen der Regierung ihren Weg zum Untergrundstaat der "Republik Facebook" .

Ljmaximus alias Ali Novruzov ist einer der Bürger dieser virtuellen Dissidenten-Republik, Adnan Hajizadeh und Emin Milli, der in Wirklichkeit Emin Abdullayev heißt, sind ihre treibenden Kräfte. Auf mehr als 10.000 Menschen wird ihre Gefolgschaft im In- und Ausland geschätzt. Millis Facebook-Seite und sein Internet-TV, Hajizadehs politische Jugendorganisation OL - "selbst sein" - und deren Videos auf Youtube sind populär unter aserbaidschanischen Studenten in Baku, London oder New York. 10.000 demokratische Geister aber sind eine kritische Masse für ein sozial unterentwickeltes Land wie Aserbaidschan, das gerade einmal acht Millionen Einwohner zählt und dessen Machtclique von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft lebt.

Adnan Hajizadeh hat sich schon einige Extravaganzen geleistet: einen Spaziergang zu einer geschlossenen armenischen Kirche mitten in Baku zum Beispiel, den er auf Youtube verbreitete (Aserbaidschan und Armenien sind seit den Pogromen und dem Krieg Anfang der Neunzigerjahre verfeindet). Doch als sich der Sohn eines früheren aserbaidschanischen Botschafters in Moskau ein Eselskostüm überzieht und seine Freunde zu einer improvisierten Pressekonferenz einlädt, ist das Maß voll für die Regierung. Adnan spielt den Esel "Heinz" , eines der Grautiere, die Aserbaidschans Regierung für angeblich 41.000 Dollar aus Deutschland einfliegen ließ. Die Aufpasser in den Ministerien erkennen eine Parodie auf Ilham Alijew, den Präsidenten.

Ein Esel gibt die Antworten

"Es ist wohl das am meisten missverstandene Video der Welt" , sagt Ali Novruzov später. Er sitzt in dem kurzen Film als einer der Journalisten am Tisch und notiert eifrig, was der Esel über Aserbaidschan zu berichten weiß. "Alles war improvisiert, die Fragen, die Antworten" , schreibt Novruzov in einer E-Mail. Die meiste Zeit verbrachten die jungen Leute damals im Juni damit, einen Namen für den Esel zu finden. Das Video richtete sich gegen niemanden, schwört Novruzov. "Die einzige Idee war: Da die Regierung den Menschen nicht sagt, warum diese Esel so teuer waren und weshalb sie gekauft wurden, dann lasst uns einen dieser Esel finden, und er wird uns eine Antwort geben. Es war eine gute Gelegenheit, unter einem anderen Blickwinkel über Korruption in Aserbaidschan zu sprechen."

"Bei Facebook geht es um alternative Kanäle, um Öffentlichkeit zu erreichen, vorbei an traditionellen Medien, die oft der Zensur unterliegen" , sagt der Internetforscher und Politikberater David Röthler. Facebook entstand 2004, Youtube kam 2005 ins Internet, Twitter im folgenden Jahr. Das "virale Verbreitungspotenzial" dieser sozialen Netzwerke sei noch einmal höher als bei E-Mails, die im Schneeballsystem verschickt würden, meint Röthler und erklärt sich damit das Misstrauen der Regierungen in den früheren Sowjetrepubliken gegenüber ihrer jungen Generation.

Es war ein russischer Blogger, Bakrabo4iy, der die Verhaftung der beiden Aserbaidschaner kommentierte und dabei den Begriff "Republik Facebook" einführte. Zu Zeiten der Sowjetunion diskutierten die Menschen abends in ihren Küchen über Politik mit Freun-den, denen sie vertrauten, schrieb Bakrabo4iy im vergangenen Juli, nach der Festnahme der beiden Bürgerrechtler. "In Aserbaidschan ist heute alles virtuell und ironisch. Facebook hat die Rolle der Untergrundküchen übernommen; es ist eine der letzten Bastionen der Freiheit in Aserbaidschan." Bakrabo4iy zog auch einen Vergleich mit dem Kultfilm Matrix. Die Parallele gefällt vielen Internet-Aktivisten wie in Aserbaidschan, die sich zunehmend in Opposition zum Staat sehen: Morpheus, Trinity und Neo, wissend um die gefälschte Realität der Welt, kämpfen gegen den grauen Agenten Smith und die Macht der Maschinen.

Im Film erreichen die Bohrmaschinen die unterirdische Stadt "Zion" , bis sich die Helden auch aus dieser Realität hinauskatapultieren. Die Frage sei, so folgert Bakrabo4iy, ob man die Pille schluckt, die Morpheus Neo anbietet, um die Realität zu sehen, oder ob man sich mit seiner Welt abfindet.

Meine Freunde im Käfig

Nigar Fatalin hat einen der wenigen Plätze im Gerichtssaal ergattert, anders als ihr Bekannter Ali, der draußen vor dem Gebäude die Nachrichten über den Fortgang der Verhandlung in die Welt twittert. "Heute habe ich meine Freunde in einem Käfig sitzen gesehen" , schreibt sie später in ihrem Blog. "Ihre Haare waren kurzgeschoren, die Bärte rasiert. Sie haben Gewicht verloren, und ihre Augen blicken jetzt ernster. Trotzdem haben sie sich ihre positi-ve Haltung bewahrt." Emin Milli ruft aus dem Metallkäfig seinen Freunden scherzhaft zu: "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie gut das zum Studieren ist! Niemand stört einen. Man kann den ganzen Tag lesen und studieren. Ich brauche mehr Bücher!" Die durchtrainierten Männer - zwei Ringer -, die von den beiden jungen Bürgerrechtlern zusammengeschlagen worden sein sollen, bringen keinen geraden Satz heraus und verstricken sich in widersprüchliche Angaben. "Du bist ein Held dieses Systems" , wird Milli später einen der Ringer ermuntern, der den Text seiner Aussage vergessen hat, "sei mutig, sprich laut!"

Fatalins Blog hat einen ungewöhnlichen Namen: "Fighting windmills? Take a pill." Es ist keine Anspielung auf Matrix, aber weitergedacht, dann eben doch. Der Name sei aus einer Reihe von Überlegungen entstanden, erklärt die junge Filmemacherin in einer E-Mail - "Warum müssen wir uns das alles antun? Warum können wir in Aserbaidschan nicht leben wie andere Leute auch? Sind wir irgendwie krank?" Ihre Empfehlung: nicht quengeln, sondern eine Tablette einnehmen. (Markus Bernath/DER STANDARD, Album, 14./15.11.2009)