Bild nicht mehr verfügbar.

Was der Wetterhahn anzeigt am eigenen Leib spüren? Mit wissenschaftlichen Methoden lässt sich Wetterfühligkeit kaum untersuchen.

Foto: APA/dpa/Wolfgang Schneider

Etwa die Hälfte der Menschen bezeichnet sich selbst als wetterfühlig. Viele Beschwerden schreiben sie der Witterung zu, beispielsweise Gelenkschmerzen, Abgespanntheit, Schlafstörungen oder Kreislaufprobleme. Ein Drittel gibt in Umfragen an, mitunter wetterbedingt arbeitsunfähig zu sein. Solche Erhebungen haben Meteorologen zu Biowetter-Prognosen motiviert. Vier von fünf Leuten bezeichnen die Vorhersagen als "hilfreich" oder "teilweise hilfreich".

Ob die Prognosen stimmen, ist eine ganz andere Frage. Die meisten hätten eine Glaubwürdigkeit "ähnlich wie Horoskope", sagt etwa Jürgen Kleinschmidt, Experte an der Universität München. "Bürger sollten Biowetter-Vorhersagen komplett ignorieren", meint Jörg Kachelmann vom Wetterdienst Meteomedia in der Schweiz. "Vor Koliken, Narbenschmerzen und anderen Beschwerden zu warnen ist Unsinn", sagt Hans Richner von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, ETH.

Dabei bestreiten die Fachleute nicht, dass das Wetter das Befinden der Menschen beeinflusst. Allerdings seien nur wenige Einflüsse bewiesen, die meisten Prognosen mithin unhaltbar. Lediglich vier Zusammenhänge gelten als gesichert. Erstens: Pollen - sie können allergische Reaktionen hervorrufen. Zweitens: übermäßig viel UV-Strahlung - sie schädigt Hautzellen. Drittens: Ozon, weil es Atemwegserkrankungen auslösen kann. Und viertens: "thermische Wirkungskomplexe - sie wirken sich auf den Körper aus, denn Temperatur, Feuchtigkeit und Wind sorgen für Hitze- oder Kältestress. Im Extremfall können Herzinfarkte, Rheumaanfälle oder Unterkühlungen die Folge sein.

"Diese Zusammenhänge kennt jeder intuitiv", sagt Richner. "Wenn es heiß ist, fächeln wir uns Luft zu, bei Kälte suchen wir Windschatten." Die Warnung vor Kreislaufproblemen bei schwül-heißem Wetter sei etwa so sinnvoll wie eine Warnung vor dem Nasswerden bei Regen.

Problematischer seien Biowetter-Prognosen, die bestimmte Wetterlagen für konkrete Beschwerden verantwortlich machen.

Keine Evidenz für Föhn

Auch der staatliche österreichische Wetterdienst ZAMG verbreitet täglich solche Vorhersagen, in denen etwa vor Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen, Koliken oder "depressiven Verstimmungen" gewarnt wird. Für eine derartige Wetterfühligkeit "gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen", sagt Richner, der seit mehr als 40 Jahren die gesundheitlichen Auswirkungen des Wetters erforscht. Selbst das berühmte Phänomen, dass der warme Alpenwind Föhn angeblich Kopfweh auslöse, sei wissenschaftlich nicht bewiesen.

Biowetter-Prognostiker verweisen auf Studien, die zeigen, dass Wetteränderungen die körperliche Verfassung beeinflussen. Tatsächlich haben Experimente gezeigt, dass manche Menschen bei einer Wetterverschlechterung über Beschwerden klagen, etwa über Migräne, Asthma oder Diabetes. Hochdruck hingegen wirke sich günstig auf die Gesundheit aus, heißt es in einer Studie des Deutschen Wetterdienstes DWD. Allerdings: Ob der Einzelne den Prognosen folgen soll, erscheint zweifelhaft. "Das Ganze ist ein Problem der Individualisierung", sagt Harald Walach, Biowetter-Experte an der University of Northampton in Großbritannien. Wenn manche über Gelenkschmerzen klagten, erfreuten sich andere besonderer Fitness.

"Eine Minderheit von Menschen zeigt Reaktionen auf Wetterwechsel", ergänzt Meteomedia-Chef Kachelmann. "Die Reaktionen sind aber sehr unterschiedlich, sie treten zudem bei verschiedenen Wetterlagen auf." Jeder reagiere anders, bestätigt Richner. Resultate entsprechender Studien widersprächen sich "oft diametral" - zwei Personen reagierten zum Teil genau gegensätzlich aufs Wetter.

Der Erfolgsdruck in der Wissenschaft verzerrt offenbar die Resultate der Studien. Zwar finden Forscher regelmäßig statistische Anzeichen dafür, dass Beschwerden mit bestimmten Wetterlagen einhergehen. Doch die Resultate ließen sich oft nicht wiederholen, sagt Richner, sie "müssten als zufällig betrachtet werden".

Wie Luftdruck wirkt

Studien der vergangenen Jahre machten etwa Änderungen des Luftdrucks für Wehen bei Schwangeren verantwortlich. Der Effekt schien gut erklärbar - immerhin ändert sich der Luftdruck, der beim Übergang von einer Hochdruck- zu einer Tiefdrucklage auf den Körper wirkt, insgesamt um rund eine halbe Tonne. Richner hat jedoch Zweifel: Wer etwa im Auto mäßige Steigungen überwinde, setze seinen Körper ähnlichen Druckschwankungen aus - ohne dass dabei vermehrt Wehen auftreten würden.

Statistisch lasse sich leicht sagen, das Wetter sei schuld gewesen, resümiert Kleinschmidt. "Natürlich will jeder Forscher am Ende einen Effekt darstellen." Widerlegten Experimente aber eine These, würden die Resultate nicht unbedingt publiziert: "Negative Ergebnisse verschwinden in der Schublade."

Eine weitere Schwierigkeit der Biowetter-Prognosen sei die "große Zahl von Wetterfaktoren", sagt Walach. Das Wetter übt eine "Akkordwirkung" aus: Viele meteorologische Einflüsse wie etwa Wind, Feuchtigkeit, Temperatur, Druck, Luftchemie oder Strahlung wirkten gleichzeitig. Das Problem sei zu erkennen, welche Parameter relevant sind.

Und wie steht es nun also um die vielbeschworene Fähigkeit, Wetteränderungen im Vorhinein zu fühlen? Manche Menschen könnten offenbar die Vorboten von Wetterfronten anhand kleiner Schwankungen des Luftdrucks spüren, schrieb der DWD in einem Resümee von 2007. Prallen Luftmassen aufeinander, geraten sie in Wallung. Die atmosphärischen Wellen eilen Wetterfronten voraus. Sie schwingen äußerst langsam, es dauert mehr als fünf Minuten, bis eine Welle durchgelaufen ist. Bei Menschen mit geschwächten oder verengten Blutgefäßen oder bei Menschen mit hohem Blutdruck könnte es dabei zu "Fehlregulationen kommen, welche Wetterfühligkeitssymptome auslösen könnten", behaupteten die DWD-Experten.

Tatsächlich haben Experimente von ETH-Forscher Richner allerdings gezeigt, dass das Befinden umso schlechter ist, je größer die Luftwellen waren. Richner selbst glaubt deshalb jedoch nicht an einen tatsächlich kausalen Zusammenhang: "Vermutlich handelt es sich um eine Scheinkorrelation."

Wechselwirkungen

Die Menschen reagierten wohl schlicht auf miese Witterung und nicht auf Luftwellen - denn bei schlechtem Wetter seien die Druckschwankungen am größten. Die Luftwellen mit dem Wohlbefinden in Verbindung zu bringen ähnele dem Versuch, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Umsatz von Himbeereis und der Anzahl von Sonnenbränden herzustellen. Beide steigen bei schönem Wetter - aber niemand käme auf die Idee, Himbeereis für Sonnenbrand verantwortlich zu machen, sagt Richner. (Axel Bojanowski, DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2009)