STANDARD: Es gibt eine Theorie, nach der das H1N1-Virus von Pharmafirmen absichtlich in Umlauf gebracht wurde und dies die Menschheit auf zwei Milliarden reduzieren soll. Was halten Sie davon?
Wild: Das sind vollkommen irre Sachen, die im Internet kursieren, aber sie sind eine Reaktion auf den Hype, der sich gerade in der Öffentlichkeit rund um die Schweinegrippe abspielt. Alle Medien sind voll. Das hat Panik erzeugt, und jetzt gibt es Menschen, die das ausnützen, um berühmt zu werden. Mit Verschwörungstheorien geht das derzeit gut. Extreme erzeugen Extreme, das ist doch bekannt.
STANDARD: Sie haben Daten, für die es wissenschaftliche Evidenz gibt, gesammelt. Was wissen wir?
Wild: Das Virus existiert, es ist ansteckend, und die Erkrankung trifft im Gegensatz zur saisonalen Grippe vor allem jüngere Menschen. Und wir wissen, wie H1N1 in Australien verlaufen ist, weil dort die Grippesaison schon vorbei ist. Von 22 Millionen Australiern sind 169 am H1N1-Virus verstorben, von 260.000 Schwangeren vier. Besonders die Aborigines waren betroffen und Menschen mit schwerster Adipositas. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen.
STANDARD: 169 von 22 Millionen sind nicht gerade viele?
Wild: Das sind Fakten. Wir wissen fast nichts von der saisonalen Grippe und ihren Auswirkungen. Um sichere Aussagen zu treffen, müssen wir bis zum März 2010 warten, denn man kann immer nur rück-blickend verbindliche Aussagen treffen. Wir wissen aber von vergangenen Influenza-Epidemien, dass die Impfung selbst wenig Auswirkung auf die Sterblichkeit zeigt. Unabhängig von den Durchimpfungsraten ist die gemeldete Sterberate überall gleich.
STANDARD: Was bedeutet das?
Wild: Dass man auch H1N1 immer in Relation sehen muss. 1600 Menschen unter 40 Jahren sterben bei Unfällen pro Jahr in Österreich. Im Vergleich dazu ist H1N1 harmlos. Nur sind weder Experten noch Laien bereit, solche Vergleichszahlen heranzuziehen.
STANDARD: Es ist also doch das große Geschäft für die Pharmafirmen?
Wild: Daran besteht kein Zweifel. Auch die Zahlen, die kursieren, stelle ich immer wieder gerne infrage. Denn es ist ja nicht so, dass bei jedem Patienten mit Verdacht auf Grippe ein Rachenabstrich gemacht wird, der auch beweist, dass es H1N1 ist. Das sind im Endeffekt alles Schätzungen. Und deshalb wird auch nicht differenziert, ob es sich um einen grippalen Effekt oder H1N1 handelt. Schon gar nicht für Länder wie Mexiko oder die Ukraine. Vielleicht gibt es mehr Menschen, die H1N1 haben und die zu Hause bleiben. Was ist mit denen? Für gesicherte Aussagen sind solche Fragen entscheidend.
STANDARD: Und was ist mit den Toten, würden Kritiker einwerfen?
Wild: Auch über sie wissen wir wenig. Nur eines zeichnet sich schon ab, und nicht einmal das ist neu: Das Virus traf in Australien nicht irgendwelche Menschen, sondern vor allem sozial schwache Gruppen und arme Menschen. Armut macht krank, das wissen wir ja, insofern hat H1N1 auch eine soziale Komponente, die allerdings bisher nicht thematisiert wurde.
STANDARD: Impfen oder nicht - was antworten Sie?
Wild: Ich sage immer: Schauen Sie genau hin, denn es ist ja auch nicht so, dass eine Impfung hundertprozentig schützt, sondern nur zu 70 Prozent. Auch dafür gibt es Evidenz. Und ich denke schon, dass der Mensch auch das Recht hat, krank zu sein, zu Hause zu bleiben und sich auszukurieren. Warum sollte die Medizin das durch Impfungen verhindern? Über die Krankheit baut der Körper Immunität gegen H1N1 auf. Und dass Viren, egal welche, für Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlicher als für Gesunde sind, das ist auch seit langem bekannt.
STANDARD: Sie bleiben impfskeptisch?