Ramallah/Wien - Das einfachste Erklärungsmodell ist, dass Mahmud Abbas, Präsident der Palästinenserbehörde, seine Wiederkandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Jänner ausschloss, als er bereits wusste, dass diese Wahlen nicht stattfinden werden: im Bewusstsein, dass er dann eben ohne Wahlen als Präsident weitermachen würde. Oder: Abbas hat die Wahlen gestoppt, um all den - vorhersagbaren - nationalen und internationalen Aufrufen Genüge zu tun, die ihn zum Bleiben aufforderten. Ohne Wahlen sieht der Rückzieher vom Rückzug besser aus.

Dass die Wahlen ohne vorherige Verständigung mit der Hamas und unter Ausschluss des Gazastreifens keinen Sinn machen, ist tatsächlich keine Neuigkeit und die Empfehlung der Wahlkommission, sie abzusagen, keine Überraschung. Gelöst ist mit der Absage jedoch nichts: Das Mandat des 2005 gewählten Abbas ist bereits ausgelaufen - einer der Gründe, die die Hamas vordergründig für ihre Obstruktion angibt -, und die Legislaturperiode des Parlaments geht im Jänner zu Ende.

Das fällt zwar nicht auf, denn durch die palästinensische Spaltung ist das Parlament seit 2007 ohnehin nicht funktionabel. Aber egal ist es dennoch nicht. Niemand kann ernsthaft wollen, dass die Palästinenserbehörde und ihre politischen Institutionen praktisch obsolet werden: dass die Macht wie zu Yassir Arafats Zeiten an die PLO zurückfällt, die womöglich Abbas, wenn er das denn mitmacht, bis in alle Ewigkeit verlängert und das Hamas-dominierte Parlament einfach auflöst. Wie kann man eine weitere Radikalisierung der Kreise, die sich in der PLO und der Fatah nicht wiederfinden, verhindern? Mit welchem Mandat sollte so eine Palästinenserführung verhandeln? Sollte die EU ihr Geld im Westjordanland wirklich weiter für eine solche undemokratische Konstruktion ausgeben? Das sind nur drei von vielen möglichen Fragen.

Abbas wird wohl auch wissen, dass es nicht ohne Selbstbeschädigung abgeht, würde er weiter, nur eben ohne Legitimation durch Wahlen, den palästinensischen Grüßaugust, genannt "Partner" , für Israel und die Welt machen. Man kann sicher sein, dass momentan hinter den Kulissen alles getan wird, um zu verhindern, dass er die Sache einfach hinschmeißt. Wobei es auch da unterschiedliche Grade der Dramatik gibt: Er kann einfach nur selbst gehen, er kann aber auch, gemeinsam mit der PLO-Spitze, die Palästinenserbehörde als jene Institution, die die Palästinenser in einen Staat führen sollte, für gescheitert erklären.

Die Angst vor einer Destabilisierung im Westjordanland macht das eher unwahrscheinlich, hat es doch in der vergangenen Zeit echte Fortschritte gegeben in Verwaltung und Wirtschaft. Gerade angesichts dieser Fortschritte kommt noch eine Möglichkeit aufs Tapet, deren Vordenker der palästinensische Premier Salam Fayyad ist: die unilaterale Ausrufung eines Palästinenserstaates, wenn nichts anderes mehr geht. In Haaretz ruft etwa der frühere Meretz-Minister Yossi Sarid den Palästinenserpräsidenten auf, genau das zu tun.

In Paris, wo sich Israels Premier Benjamin Netanjahu und Syriens Präsident Bashar al-Assad soeben quasi die Klinke in die Hand gaben, wurde gleichzeitig die Möglichkeit besprochen, die israelisch-syrische Schiene wiederzubeleben. Vielleicht mit Frankreich als Vermittler, das die Türkei, deren Beziehungen zu Israel sich rasant verschlechtert haben, ersetzen könnte? Skepsis ist angebracht: Netanjahus "bedingungsloser" Verhandlungswille heißt vor allem, dass Syrien seine alte Forderung, dort weiterzuverhandeln, wo man aufgehört hat, fallen lassen muss. Assad spricht jetzt von "Rechten" anstatt Bedingungen - und meint dasselbe. Für Israel wäre es allerdings viel wert, Syrien durch eine Annäherung aus der Iran-Umarmung zu lösen. Aber so viel, dass es den Golan zurückgeben würde? (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2009)