Die Familie - hier auf einer Aufnahme in der Schweiz, wo sie der Abschiebung nach Polen zu entrinnen hoffte - ist seit Oktober in Polen. Das Land ist für sie zuständig, hat aber keinen Platz für sie.

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Warschau/Graz - Der Leidensweg eines tschetschenischen Ehepaars und seiner sieben Kinder im Alter zwischen einem und 16 Jahren geht weiter. Wie der Standard berichtete, ging die Familie, die drei Jahre in der Nähe von Graz lebte, aus Angst vor der Abschiebung nach Polen im Sommer in die Schweiz, von wo sie allerdings vor vier Wochen nach Warschau geflogen wurde. Der Grund dafür ist das Dublin-Abkommen der EU, wonach der erste EU-Staat, den ein Flüchtling betritt, auch für ihn zuständig bleibt. Dieses EU-Abkommen gilt auch in der Schweiz.

In Polen, das für Menschenrechtsorganisationen kein sicheres Land für Tschetschenen ist, das für das österreichische Innenministerium allerdings kein Problem in menschenrechtlichen Fragen darstellt, wurde die Familie nach drei Tagen auf die Straße gesetzt. "Sie haben zwar etwas Ähnliches wie einen anerkannten Flüchtlingsstatus hier, aber sie haben eine Deadline für ein Integrationsprogramm versäumt", erklärt eine Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Association for Legal Intervention, die sich um die Familie bemüht, im Gespräch mit dem Standard.

Mittlerweile dürfen die neun Menschen zumindest wieder in dem Flüchtlingszentrum in Debak bei Warschau in einem Zimmer nächtigen, eine permanente Bleibe für die traumatisierte, politisch verfolgte Familie konnte aber noch nicht gefunden werden. "Es gibt in Warschau kein Obdach für eine so große Familie", erzählt die Menschenrechtsaktivistin, allerdings hoffe sie, die Familie in einem Dorf 100 Kilometer östlich von Warschau unterzubringen.

Wirklicher Trost ist das für die 15-jährige C., die sehr schnell Deutsch lernte, aber kein Polnisch versteht, nicht: "Gestern hat meine Mutter Fotos aus der Steiermark angesehen und wieder geweint", erzählt die zweitälteste Tochter der Familie, "und Vater sitzt nur herum und redet mit niemandem. Meine Geschwister und ich gehen nicht zur Schule ... wir wollen zurück nach Österreich."

Kein Recht auf ärztliche Hilfe

Doch in Österreich durchliefen sie alle Instanzen - erfolglos. Auch ein humanitäres Bleiberecht wurde nicht gewährt - obwohl an der Schule der 15-Jährigen in Deutschfeistritz Unterschriften gesammelt wurden und trotz der chronischen Krankheit der Mutter, die in Graz und Embrach (Schweiz) immer wieder stationär behandelt werden musste. Im EU-Land Polen haben Flüchtlinge kein verbrieftes Recht auf medizinische Versorgung. Ihr jüngster Bruder, der eineinhalbjährige I., habe seit Tagen Fieber, so C. verzweifelt. Ob man einen Arzt konsultiert habe? Das Mädchen antwortet resigniert: "Ich denke, es gibt hier keinen Arzt."

Michael Genner von der Organisation Asyl in Not, welche die Familie in Österreich rechtlich vertrat, hat indes von der Berliner Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) besorgniserregende Informationen erhalten, die auch dem Standard vorliegen. Demnach wurde der Organisator einer Demonstration tschetschenischer Flüchtlinge am Warschauer Hauptbahnhof vor einigen Tagen brutal niedergeschlagen: "Obwohl Polizisten den Vorfall beobachteten, schritten sie nicht", so die Referentin der GfbV. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD Printausgabe, 16.11.2009)