"Es ist bemerkenswert, dass jemand so lange nicht die Wahrheit sagt", sagte am Montag Ludwig Adamovich, der Leiter der Evaluierungskommission im Kriminalfall Natascha Kampusch. Mit "jemand" meint Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Adamovich Ernst H., den letzten Freund des Entführers Wolfgang Priklopil. Wie berichtet, hat H. hatte bei seiner neunstündigen Einvernahme am Wochenende überraschend angegeben, dass Priklopil ihm wenige Stunden vor seinem Selbstmord die Entführung von Kampusch gestanden habe. Bisher hatte H. das abgestritten.

Auch H.s Rechtsanwalt Manfred Ainedter bestätigte auf Anfrage des STANDARD den Schwenk seines Mandanten. Nachteile erwartet sich Ainedter daraus nicht. "Falsche Zeugenaussage kommt nicht infrage, weil mein Mandant bisher nie als Zeuge, sondern immer nur als Auskunftsperson einvernommen wurde."

Als mögicher Mitwisser einvernommen

Jetzt wurde H. aber sogar als Beschuldigter, als möglicher Mitwisser, einvernommen. Der zuständige Grazer Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbachler will alle Ungereimtheiten aufklären. Dieser Ansatz dürfte bei H. gewirkt haben. Als Mitbeschuldigter schenkte er nun reinen Wein ein, "weil er Angst hatte, in die Sache hineingezogen zu werden", so Ainedter. Nach Ansicht des Verteidigers könne man H. auch nicht "Begünstigung" eines Straftäters vorwerfen, da Priklopil ja nicht mehr lebe. Wäre H. noch während der jahrelangen Gefangenschaft Kampuschs von Priklopil ins Vertrauen gezogen worden, wäre er hingegen straffällig geworden. Das war aber laut H. nicht der Fall.

Grundsätzlich muss jemand, der von einer abgeschlossenen Straftat erfährt, nicht zur Polizei rennen. Nur bei wenigen Berufsgruppen wie Ärzten gibt es Anzeigepflicht. Wer von einer geplanten Straftat erfährt, muss hingegen versuchen, diese gegebenenfalls mit einer Anzeige zu verhindern. Allerdings nur dann, wenn der Strafrahmen mehr als ein Jahr Haft beträgt.

Was H. nach dessen Lügengeständnis doch noch drohen könnte, ist eine Anklage wegen Mithilfe zum Selbstmord. Priklopil dürfte seinen Suizid angedeutet haben, H. ist aber der Meinung, dass er diesen nicht verhindern konnte.

"Ein kurzer Handgruß" 

Natascha Kampusch, die selbst zwei mal acht Stunden einvernommen worden ist, sagte am Abend in der ORF-Sendung Thema, sie könne "so nicht beantworten", ob H. als Zweittäter infrage komme: "Ich habe ihn nie als Täter wahrgenommen. Ich habe nur den Priklopil gesehen." Erst gegen Ende ihrer Gefangenschaft im Jahr 2006 habe Priklopil sie , als er sie "in ein für ihn normales Leben integrieren wollte", H. als Nachbarin vorgestellt: "Das hat zu einem kurzen Handgruß gereicht." Über angebliche Videos, die zwei Männer im Verlies zeigen sollen, sagte sie: "Die gibt's nicht." (APA, simo, nim, DER STANDARD; Printausgabe, 17.11.2009)