Walter Grond: "Ich hoffe, dass unter Autoren endlich ein Bewusstsein für die Problematik des Publizierens von Literatur in digital vernetzten Räumen entstehen wird."

 

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"Das Netz ist ein Verstärker des Starken"
Interview mit Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG AutorInnen - Über die Sorgfalt, mit Literatur umzugehen, und die Versuche, sich im Netz das Copyright unter den Nagel zu reißen

 

Foto: Heribert Corn

Seit 2005 verbindet das länder- und sprachenübergreifende Buchportal Readme.cc Buchtipps von Experten und Laien. Die virtuelle Bibliothek erhielt den Anerkennungspreis für Digital Communities bei der Ars Electronica 2008.

 

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Standard: Sind Sie vom "Google Book Settlement" betroffen - urheberrechtlich wie moralisch?

Walter Grond: Ich bin froh, dass die europäischen Sammelklagen die urheberrechtlich korrekte Verwendung von Informationen meiner Bücher in Google Book Search bewirkte. Einerseits bin ich darüber empört, was Google vorhatte, andererseits freue ich mich, dass sich mit der Reglementierung von Google das von Buch-Essentialisten ausgerufene Entweder-Wir-Retten-die-Literatur-im-Buch oder aber Wir-gehen-in-der-Unkultur-des-Netzes-Zugrunde totlaufen wird.

Standard: Als jemand, der in Verlagen publiziert, sich aber auch mit "Schreiben und Lesen am Netz" auseinandersetzt: Wie sehen Sie die Digitalisierungspläne von Google?

Grond: Google hat mit dem Versprechen, eine für alle freie Weltbibliothek aufbauen zu wollen, ein raffiniertes Spiel getrieben. Das Internet ist ja leicht als eine Einheit zu begreifen, die alle Güter und Dienstleistungen anbietet. Und Google hat offenbar damit begonnen, die Bestände von Bibliotheken zu digitalisieren, um - unterfüttert mit Bildungsgut - ein Monopol über die Verbreitung von digitalen wie haptischen Büchern zu erlangen. Google wäre nach dieser Vorstellung der weltweit einzige Buchhandel, Antiquariat, Verleihdienst und Verlag. Ein echtes Schreckensszenario.

Standard: Können Sie den Widerstand der deutschsprachigen Literaturpublizistik, nachvollziehen?

Grond: Das Raubrecht, das Google festzuschreiben versuchte, ist für mich ein Zeichen, wie wenig die Google-Leute die Literaturszene kennen. Das Urheberrecht ist ein seit 150 Jahren erfochtenes Autorenrecht, und natürlich sind heute Parallelen zum späten 18. Jahrhundert zu beobachten, als mit der Flut von Broschüren und Raubdrucken auch eine Geschäftemacherei mit geistigen Gütern getrieben wurde, die vor allem Autoren leer ausgehen ließ. Eine Frage ist, ob es nicht künftig völlig andere Formen der Entlohnung von geistigen Gütern braucht als jene heute gepflegte, die an den Ladenpreis eines Buches gebunden ist.

Standard: Google wird auch vorgeworfen, ein rein technischer Umschlagplatz für Literatur zu sein. Welchen Kontext braucht es, um Literatur im Netz zu publizieren und zu rezipieren?

Grond: Ich kann diese technikzentrierte Kulturkritik nicht nachvollziehen. Bei aller Problematik einer vergoogelten Welt: Ich sehe nicht, dass die Leser vor dreißig Jahren, bewaffnet mit Lexika und Feuilletons, intelligenter und tiefsinniger mit Literatur umgegangen wären. Wir müssen zu verstehen lernen, dass auch Google nichts Unvermeidliches ist. Es ist ein gutes Angebot - unter vielen.

Es gilt, Plattformen zu gründen, die sowohl die Vorteile eines technischen Umschlagplatzes nützen, als auch auf redaktionelle Arbeit nicht verzichten, mithin die literarische Expertise für unverzichtbar halten. Mit fortschreitender Digitalisierung wird die Frage immer häufiger gestellt werden, wem zu trauen ist. Vertrauenserweckend kann nur eine kontinuierlich und sorgsam entwickelte literarische Kultur im Internet sein.

Standard: Das von Ihnen ins Leben gerufene Buchportal Readme.cc verhandelt Literatur ausschließlich über ihre Rezeption: Ist dieser Austausch der Community über Bücher ein Kontext, in dem Literatur im Netz funktionieren kann?

Grond: Unser Ansatz ist, dass es ein erfrischenderes Verhältnis zwischen Autoren und Lesern braucht als jenes zwischen unantastbaren Genies und schweigsamen Verehrern. Daher ist die wichtigste Schnittstelle auf readme.cc eine qualitätsvolle Buchempfehlung, die zum Weblog eines Lesers führt und zugleich einen Autorenweblog aufmacht. Von Anfang an hatten wir dabei im Blickfeld, dass diese Buchempfehlung zu wirklichen Texten führt. Der eine Weg ist also der zum haptischen Buch.

Der andere wird der zum elektronischen Text sein. 2010 baut Readme.cc einen Medienserver auf, um Autoren und literarischen Verlagen die Produktion und den Vertrieb von E-Books zu ermöglichen, und solche in einer E-Book-Edition auch selbst zu verbreiten. Wir sind überzeugt, dass es eine kulturelle Alternative braucht zu all den konzerngesteuerten Entwicklungen, und dass diese Alternative eine europäische Dimension haben muss.

Standard: Denken Sie, dass es für Bücher eine formale Entsprechung im Netz gibt, oder kann es sich bei nur um neue Versionen des ursprünglichen Textes handeln?

Grond: Ich fand es immer kläglich, wie der traditionelle Literaturbetrieb die Hypertextszene ignorierte und klein redete. Und ich könnte mir vorstellen, dass das E-Book zu einer Belebung des literarischen Experiments insgesamt führt. Tatsächlich ist es eine der brennenden Fragen, was denn ein E-Book überhaupt ist und sein kann. Eine mangelhafte Kopie eines haptischen Buches? Dagegen ist die Vorstellung eines E-Books als umfassende Applikation mit verschiedenen Formaten, mit begleitenden und subtextuellen Angeboten, sei es Audio oder Video oder sonst etwas, aufregender. Wir können erst erahnen, was sich da tun wird.

Standard: Denken Sie, dass publizistische Konzepte, die gleichzeitig Papier und Netz einschließen, einen wirtschaftlichen Nutzen bringen können?

Grond: Ein vernetztes Book-on-Demand-Angebot hat ja heute schon Gewicht. Mir erscheinen aber das Lesen am Bildschirm und das Lesen von bibliophil hergestellten Büchern als die reizvollere Kombination.

Standard: Nutzen Sie die Google-Buchsuche?

Grond: Äußerst selten. Ich suche lieber in spezialisierteren Angeboten.

(Franz Thalmair, DER STANDARD/Printausgabe, 23.11.2009 - Langversion des Interviews)