Zupf, zupf, wisch, wisch! Contenance und Akribie, Soundgirlande und Zierleisten: Die seltsame Musik von Grizzly Bear beglückte das restlos ausverkaufte Wiener Wuk.

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Foto: Robert Newald

Wien - Der New Yorker Stadtteil Brooklyn mit seinem nahe an Manhattan liegenden Grätzel Williamsburg gilt seit Jahren als das Hipsterville der USA. Dorthin ziehen seit den 1990ern junge, kreative Menschen, denen das Leben drüben in Manhattan zu teuer geworden ist und bilden fast schon dörfliche, fast schon kitschig coole Enklaven. Für den Pop bedeutet diese einschlägige Konzentration eine anhaltende Invasion von mehr oder weniger scharfen Bands wie TV On The Radio, Vampire Weekend oder MGMT - um hier nur einige stellvertretend zu nennen.

Mitten in diesem wahnsinnig lässigen Stadtteil hat sich aber auch längst ein neues Biedermeier eingenistet. Und zwar in Gestalt einer jener irrsinnig angesagten Bands, nämlich Grizzly Bear. Diese haben heuer mit ihrem dritten Album Veckatimest Entzücken in der globalen Fangemeinde ausgelöst und gastierten am Montagabend im lange schon ausverkauften Wiener Wuk.

Zwar sehen die vier Bären, die doch eher an Hendln denken lassen, so aus, wie man in Williamsburgh aussieht - Jeans, T-Shirts, karierte Hemden, Polsterfrisur - doch ihr feingliedriger, kapriziöser Folk-Pop erinnert stellenweise gar an die Häkeldeckerln aus Omis Wohnzimmer, jene unter dem feinen Geschirr mit dem Goldrand in der Glasvitrine, gleich neben den Weißclowns aus Keramik und den Korkuntersetzern für den Glastisch im Besuchsfall.

Das bedingt eine verwegene Künstlichkeit, durch die Daniel Rossen, Christopher Bear, Ed Droste, Chris Taylor behutsam staksen: Hier streuselt man luftige Keyboard-Sounds hin, dort schlägt man die elektronische Laute an, ein bisserl gezupftes Tütü kommt von der Akustikgitarre, ein wenig Brumm-Brumm - der Bandname verpflichtet! - vom Bass. Dazu näselt man mit einfühlsamer Stimme ebensolche Texte.

Parallelen zum Prog-Rock der 1970er werden da gerne bemüht, von Fleetwood Mac ist die Rede - es könnte also alles ganz, ganz grässlich sein. Doch Grizzly Bear bringen diese Ästhetik in all ihrer gespreizten Betulichkeit letztlich souverän über die Runden. Auch und gerade auf der Bühne, auf der die vier freundlich zurückhaltenden Twenty- und Thirty-Somethings weitgehend werkgetreue Duplikate ihrer Plattenaufnahmen anfertigen.

Die hellen, an die Beach Boys erinnernden Chöre wirken zwar weniger getragen als im Studio, dafür ist ihnen die Emphase des Vortrags nicht nur an den Schweißrinnsalen, sondern an der gesamten Mimik abzulesen.

Stücke wie Fine For Now muten gar kammermusikalisch an, die Kommunikation der vier dazu auf der Bühne scheint einer Etikette zu gehorchen. Ein weiteres Bild, das bestens mit diesem Neobiedermeier konveniert. Dazu zischeln die Becken des Schlagzeugs, da werden die Augen beim Vortrag immer wieder selbstvergessen geschlossen, kein gröberer Ausrutscher, einer möglichen Live-Euphorie geschuldet, wird zugelassen. Contenance!

Klarinette, kniend geblasen

Das besitzt also durchaus das Potenzial zur katastrophalen Fadesse. Doch Stücke wie Southern Point, Ready, Able oder das erhebende While You Wait For The Others sind vor allem auch perfekte Popsongs. Und weil Grizzly Bear so akribische Arbeiter sind, müssen diese zerbrechlichen Kunstwerke auch live behutsam nachgestellt werden. Diese Arbeit ist mitunter etwas mühsam zu beobachten - man muss nicht unbedingt knien, um eine Klarinette zu blasen - doch die größeren und kleineren dramatischen Brüche in den Songs sorgen live für jene Dynamik, die das Werk von Grizzly Bear davor bewahrt, in Schönheit zu erstarren.

Live wird um jede akustische Zierleiste gerungen, jede Soundgirlande zumindestens angespielt, kein Detail leichtsinnig weggelassen. Kunst und Künstlichkeit wiegen sich in enger Umarmung - bis zum bittersüßen Ende. Eine Weihestunde letztlich, die einen Einblick in die Hermetik einer seltsamen Welt erlaubte. In dieser möchte man nicht leben, für die Dauer eines Konzertes aber allemal wieder vorbeischauen. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 18.11.2009)