Funktionsbrille "Spectacles": Wegweiser für den Radfahrer, OP-Hilfe für den Chirurgen.

Foto: Institut für Pervasive Computing

Eine Sportbrille, die dem Radfahrer Herzfrequenz und Weg anzeigt. Eine Touristenbrille, die dem Reisenden die Sehenswürdigkeiten, die er gerade vor sich hat, erklärt. Eine Rettungsbrille, die dem Feuerwehrmann darauf hinweist, wo sich noch Menschen in Gefahr befinden. Eine OP-Brille, die dem Chirurgen Auskunft über Atmung und Blutsauerstoffgehalt des Patienten zeigt. Oder eine Einkaufsbrille, die den Konsumenten informiert, welchen Nährwert die Packung Nudeln oder das Joghurt im Regal haben.

Das alles sind mögliche Eigenschaften der Funktionsbrille "Spectacles", entwickelt vom Institut für Pervasive Computing der Universität Linz und der Silhouette International AG. Das Institut wurde dafür im Zuge des Innovationspreises 2009 des Landes Oberösterreich unlängst mit dem Sonderpreis ausgezeichnet.

Miniaturisiertes Anzeigesystem

Die "intelligente" Brille enthält ein miniaturisiertes HighTech-Sensor-, Display, Computer- und Kommunikationssystem. Die oben genannten Hilfestellungen für Radfahrer, Chirurgen oder Konsumenten werden durch ein miniaturisiertes Anzeigesystem auf der Innenseite der Brille, unmittelbar beim Auge, ermöglicht.

Das Leben erleichtern

Die Funktionsbrille ist nur eines von vielen Beispielen so genannter "intelligenter" Gegenstände - Alltagsobjekte, die etwa durch den Einsatz von Mikrochips zusätzliche Funktionen erfüllen und uns so das Leben erleichtern. Viele davon benutzen wir fast täglich, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Die Sache ist nicht ganz neu - einfache Beispiele sind Handys oder Autos heutiger Bauart. Mobiltelefone werden zum Kommunizieren, als Gedächtnisstütze, für Musik und Videos oder als Internetzugangstechnologie verwendet. Aber nicht nur: Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass das Handy auch für andere Zwecke eingesetzt wird, erklärt Alois Ferscha, Leiter des Instituts Pervasive Computing an der Universität Linz. So etwa als Verfolgungstechnologie (etwa in Form einer Kundenstromanalyse), als Überwachungssystem (jedes Gespräch wird zentral protokolliert, jedes SMS gespeichert) oder zum Aufklären von Verbrechen (Verdächtigungsliste werden aufgrund des Aufenthalts in der Nähe eines Verbrechens erstellt). "Trotzdem wird das Mobiltelefon heute von 3,6 Milliarden Menschen, mehr als der Hälfte der Menschheit, verwendet", sagt Ferscha.

Intelligenter Computer hilft beim Bremsen

Autos verfügen heute über Navigationssysteme, Internetzugang und GSM/UMTS-Vernetzung. Auch hier gilt, dass wir Menschen oft nicht wahrhaben, dass es sich um ein "intelligentes" Objekt handelt. "Wenn Sie 'bewusst‘ bremsen, entscheidet eigentlich ein intelligenter Computer, ob tatsächlich gebremst wird", so Ferscha, "wenn Sie 'bewusst' auf das Gaspedal steigen, prüft zunächst ein intelligenter Computer, ob tatsächlich beschleunigt werden soll."

Es gibt unzählige Beispiele: Die Digitalkamera ist so "intelligent", dass sie "weiß", ob sie horizontal oder vertikal fotografiert, sie "erkennt" Augenpaare und somit Personen. Noch dazu "weiß" sie durch GPS, wo am Planeten sie sich befindet und schreibt diese Information zusammen mit Datum und Uhrzeit versteckt auf jedes Foto.

Technologie durchdringt Alltagsobjekte

Die Aufgabe, solche "intelligenten" Gegenstände zu entwickeln, liegt beim "Pervasive Computing". Das englische Wort "pervasive" bedeutet übersetzt so viel wie "durchdringend" oder "überall vorhanden". Technologie dringt also durch Alltagsobjekte. Pervasive Computing hat zum Ziel, Technologie in den Alltag des Menschen zu integrieren, ohne dass diese als Technologie oder Gerät empfunden wird.

"Beobachtung von Nöten"

Woher kommen die Anregungen für die Entwicklung "intelligenter" Gegenstände? "Die Ideen entstehen aufgrund der Beobachtung von Nöten, die einem auffallen beziehungsweise bewusst werden, wenn man aufmerksam durchs Leben geht", erklärt Ferscha. In Vielen Bereichen des Lebens, wie etwas Lernen, Arbeiten, Wohnen oder Reisen würden wir an "menschliche Grenzen" geführt: Die Grenzen der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, der Merkfähigkeit, der Greifbarkeit, der körperlichen Mobilität. Laut Ferscha würden die Impulse für die Entwicklung "intelligenter" Gegenstände nur selten direkt aus der Industrie kommen. Häufig sei es sogar schwer, diese von Innovationen zu überzeugen.

Datenschutz und Umweltfragen

Obwohl "intelligente" Gegenstände hohes Potenzial für Wirtschaft und Alltag haben, bringen sie gleichzeitig mehrere Herausforderungen mit sich.  "Intelligente" Objekte verrücken die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, wie es in einer Publikation der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) vom Mai 2009 heißt. Das gesetzlich verankerte Recht auf Privatheit würde bei einigen der Anwendungen gefährdet. Ein einfaches Beispiel: Wer mit dem Zug fährt, wird häufig am Bahnhof von Kameras gefilmt, ohne die Chance auf ein "Opt-out" zu haben.

Eine weitere Herausforderung ist die Frage des Recyclings: Wenn Systembestandteile wie Mikrochips zunehmend in Alltagsgegenstände integriert werden, wird die Entsorgung auf jeden Fall aufwändiger beziehungsweise "ökonomisch fast unmöglich", wie es in der Studie „Pervasive Computing: Entwicklungen und Auswirkungen" (2006) des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik heißt.

Fest steht, dass es in Zukunft immer mehr "intelligente" Gegenstände geben wird. "Diese Geräte sind nur die Vorhut von etwas das noch kommt, von dem wir uns heute keine Vorstellung machen können", ist Ferscha überzeugt. Kleidung, Schmuck, Teppiche, Möbel, Wandfarbe, Sportgeräte und Kinderspielzeug - die "intelligente" Liste ließe sich lange fortführen. (red, derStandard.at, 18.11.2009)