Als ich im Jahre 1981 meine Doktorarbeit an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien einreichte, schob ich auch stolz einen großen Stapel an Zeugnissen, die ich im Rahmen meines Studiums angesammelt hatte, hinterher. Ich erlebte den größten Schock meiner gesamten Studienzeit, als mir die Zeugnisse sofort allesamt wieder zurückgeschoben wurden; die Sachbearbeiterin bemerkte damals nur lapidar: "Die Zeugnisse brauchen Sie nicht; Sie studieren noch nach der alten Humboldt'schen Studienordnung." Und damit basta. Wissenschafter wie Schrödinger, Pauli, Gödel oder Zeilinger wuchsen in diesem System heran, ohne sich etwa um "ETCS-Punkte" kümmern zu müssen.

Erzählt man dieses Erlebnis einem heutigen Studenten - an welcher Universität auch immer -, erntet man nur ungläubiges Staunen. Heutige Studienpläne sind charakterisiert durch starre Curricula, womöglich noch verbunden mit der genauen Beschreibung der zu vermittelnden Lerninhalte, die auch die Vortragenden verpflichten, diesen "approbierten Kanon" zu unterrichten und geeignet abzuprüfen. Nicht mehr Humboldt scheint an unseren Universitäten zu regieren, sondern "der Bolognaprozess".

In Wahrheit reagieren aber zunehmend die Buchhalter an den Universitäten; und das weltweit. Der Grund ist verblüffend einfach:

Konnten frühere Herrscher sich noch auf "Gottes Gnaden" berufen, steht die öffentliche Verwaltung in republikanischen Zeiten vermehrt unter Rechtfertigungszwang. Dieser wiederum drängt nach "Objektivierung" ; und was wäre nicht objektiver als eine Zahl oder eine approbierte und zertifizierte Kenngröße oder Bericht? Mit diesem Argument, und nicht ganz uneigennützig, streben die Uni-Verwaltungen allerorten nach "Zahlen" und "Fakten" . Interessanterweise gingen diese szientometrischen Methoden von sowjetischen Theorien aus, geistige Arbeit zu bewerten; dies ist ein wohlbekannter, aber kaum erforschter Teilaspekt der zunehmenden Verbürokatisierung unserer Universitäten.

Die Annahme, dass eine Verobjektivierung und "Verbuchhalterung" die Bildungs- und Forschungseinrichtungen verbessere oder ihnen zumindest nicht schade, ist unbewiesen und wurde nie infrage gestellt. Ganz im Gegenteil konnte ich feststellen, wie ältere Ordinarien sich bereitwillig der Bürokratie "unterwarfen" und Maßnahmen mitverantworteten, die ihren Nachfolgern das Leben schwermachten und eine beispiellose Aufblähung der Verwaltung hervorbrachten. Kein Wunder, dass sich gerade "die Jungen" auflehnen, denn gerade diese sind es, welche die Buchhalteruniversitäten als Lehrende und Lernende ertragen müssen.

Die Antwort auf eine solche Entwicklung wäre einfach: Entbuchhalterung der Unis; und eine Rückbesinnung auf die Humboldt'sche Generalreform der Universitäten, welche vom Grundsatz "Lehre durch Forschung" geprägt war. (Karl Svozil/DER STANDARD-Printausgabe, 19.11.2009)