Mostar - Ich stehe auf dem Dach eines zerbombten Bankgebäudes in Mostar (Bosnien und Herzegowina) und schaue auf die vielen Lichter der Stadt hinunter.

Mein Blick schweift vorbei an den Ruinen und von Schießereien und Granateneinschlägen gezeichneten Gebäuden. Langsam wächst Moos und Gras darüber, doch übersehen kann man sie nicht. Sie erinnern noch sehr lebhaft an das, was Mostar noch heute prägt, an die Zeit des Krieges, in dem unser Bild von Bosnien und Herzegowina seine Wurzeln hat. Im perfekten Kontrast dazu ist die Reihe der Ruinen durchsetzt von modernen Wohnhäusern, Hotels und Cafés, einem Gesicht eines sich entwickelnden Mostar.

Und mein Blick schweift weiter. Vom bosnischen Stadtteil, mit Minaretten und einer Altstadt im orientalischen Stil, zum kroatischen Stadtteil, mit alten katholischen Kirchen und sehr westlich aussehenden Gebäuden. Diese beiden Seiten sind nicht mehr nur die Namen der verfeindeten ethnischen Gruppen, der zwei Religionen - jede Seite hat Gesichter, steht für Personen, für Freunde.

Und mein Blick schweift weiter. Jetzt ruht er auf dem orange-gelben Klotz, der sich prächtig vor mir aufbaut. Das Gebäude aus der k. u. k. Monarchie sieht aus, als hätte man es aus einem bunten Bilderbuch geschnitten und in die Mitte der Stadt Mostar geklebt. Bereits von außen sieht man, dass auch innen etwas ganz Besonderes Platz hat. Das United World College in Mostar (UWCiM) ist etwas Besonderes. Es ist ein internationales College mit dem Grundprinzip "Peace through Education".

Mein erster Gedanke an UWCiM liegt bei all den Menschen, die mir einen weiteren Blick geben, mit denen ich lachen und weinen kann, die mich vor Herausforderungen stellen, die mir Denkanstöße geben und von und mit denen ich täglich lerne. Das Ziel ist es nach zwei gemeinsamen Jahren mit dem International Baccalaureate (IB), einer international anerkannten Matura, die Schule abzuschließen.

Hebräisch und Yoga 

Und nicht nur in den Klassenräumen wird gelernt. Genauso bei Nachmittagsaktivitäten wie Video Production, Modern Dance, Ecology, Hebräisch oder Yoga sowie bei nächtlichen Gesprächen, "study sessions" mit Experten aus aller Welt oder einfach beim Essen in der Kantine. Der UWC-Spirit ist etwas, das jeder versucht zu beschreiben, aber niemand so wirklich zu vermitteln vermag. Man muss ihn erlebt haben. Gemeinsam mit Schülern aus den drei ethnischen Gruppen sind hier Nationen vertreten, von denen sich so mancher nicht sicher ist, wo man am Globus zu suchen anfangen soll. Und all diese Nationen treffen sich in Mostar, einem Brennpunkt im Bereich der Völkervereinigung, wo so mancher noch nie einen Fuß auf die andere Seite der eigenen Stadt gesetzt hat, einer Stadt mit einem segregierten Schulsystem. Doch am UWC zählt nicht, woher du kommst, sondern wer du bist.

Und mein Blick schweift weiter in die Ferne. Zeit und Ort haben für mich eine neue Bedeutung bekommen. Seit zwei Monaten bin ich jetzt hier. Einerseits fühlt es sich so an, als wäre ich schon seit Ewigkeiten hier, andererseits blättere ich erstaunt durch meinen Terminkalender und wundere mich, wohin die Zeit wohl verschwunden ist.

Oft erzählen Menschen von Erlebnissen, die ihr gesamtes Leben verändert haben, was für einen Außenstehenden oft schwer nachvollziehbar ist. UWCiM hat mein Leben bereits in sehr kurzer Zeit verändert, und ich bin gespannt, was noch auf mich zukommen wird. Und auch wenn das Sprichwort besagt, dass Vorfreude die schönste Freude ist - da muss ich vehement widersprechen. Denn meine Vorfreude war nur ein Bruchteil dessen, was ich hier erleben darf. (Schirin Schenkermay, DER STANDARD-Printausgabe, 18.11.2009)