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Das Foto vom Montag zeigt eine Polio-Impfung in Pakistan (in der Stadt Chaman nahe der afghanischen Grenze).

Foto: APA/EPA/MATIULLAH ACHAKZAI

Wien - Das Polio-Virus, das die Kinderlähmung auslöst, erweist sich tückischer als gedacht. Der seit 1988 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geplanten Ausrottung widersetzt sich der Erreger hartnäckig - nicht nur, weil er besonders in chaotischen Staaten wie Afghanistan, Pakistan, Indien und Nigeria zirkuliert, hieß es anlässlich eines wissenschaftlichen Symposiums mit internationalen Experten an der Akademie der Wissenschaften in Wien.

Entdeckung

1909 war das Virus von dem Entdecker der Blutgruppen, dem aus Wien stammenden Medizin-Nobelpreisträger Karl Landsteiner, entdeckt worden. Der Wiener Immundermatologe Georg Stingl beschrieb im Vorfeld des Symposiums die ersten Versuche Landsteiners: "Karl Landsteiner hat um 1900 die Blutgruppen entdeckt. Er erhielt den Nobelpreis. Sein Vertrag an der Universitätsklinik wurde nicht verlängert, so arbeitete er am Wiener Wilhelminenspital. Es gab eine Polio-Epidemie. Ein junger Bub, Fritz S., wurde mit einem dramatischen Verlauf eingeliefert. Er entwickelte binnen 24 Stunden eine Paralyse und verstarb nach fünf Tagen." Landsteiner versuchte zunächst, in Kulturen von Rückenmarkgewebe des Kindes eventuell vorhandene Bakterien zu züchten. Das misslang. Dann injizierte er das Material Mäusen, Kaninchen, Meerschweinchen und Affen. Die Affen wurden krank. Hinter der Kinderlähmung steckte also eine übertragbare Infektion.

Impfstoff

"Zu den großen Epidemien im 20. Jahrhundert kam es, weil durch die verbesserte Hygiene Kinder erst später infiziert wurden und sie nicht mehr den Schutz der Antikörper der Mutter hatten", erklärte der Wiener Virologe Franz X. Heinz. Und weiter: "1955 gab es den ersten Impfstoff aus inaktivierten Viren. In den USA wurde ein Feldversuch mit 1,8 Mio. Kindern durchgeführt, von denen ein Teil Placebo erhielt. Am 12. April 1955 wurde die Studie geöffnet. Binnen zwei Stunden wurde der Impfstoff in den USA zugelassen. Im ganzen Land läuteten die Kirchenglocken." Vor allem wegen der leichteren Anwendung - es gab auch einen schweren Zwischenfall mit nicht vollständig inaktivierten Viren in Vakzine-Chargen - stellte man die Impfung schließlich auf den oral einzunehmenden Impfstoff mit attenuierten (abgeschwächten, Anm.) lebenden Viren um.

Versuch der Ausrottung

"1988 hat sich die WHO entschlossen, den gleichen Angriff wie bei der Ausrottung der Pocken auch bei der Polio zu starten", so Eckard Wimmer, aus Deutschland stammender und in den USA arbeitender Molekularbiologe. Binnen elf Jahren war de facto eine der drei Virusvarianten (Polio 2) weltweit nicht mehr vorhanden. Die Zahl der Fälle sank von 380.000 im Jahr 1988 auf 791 im Jahr 2000. Doch obwohl dafür von Rotary International, der Bill and Melinda Gates-Stiftung und anderen Geldgebern bereits zwischen sechs und sieben Mrd. US-Dollar ausgegeben wurden, meldete sich das Virus zurück. "Die Zahl der Erkrankungen und Infektionen dürfte wieder auf 200.000 gestiegen sein", so Wimmer.

Für die erneute Ausbreitung sind nicht nur die zum Teil katastrophalen medizinischen Zustände in Afghanistan, Pakistan, Nigeria und Indien verantwortlich, welche die Durchimpfungskampagnen teilweise vereitelten. Es sind auch Fakten rund um den oralen Lebend-Impfstoff und das Virus selbst: Einerseits können Immungeschwächte das Virus lange in sich tragen. Im Falle einer Infektion kommt es nur in einem von 100 bis 1.000 Fällen zu einer echten Kinderlähmung. Andererseits kann auch das Impfvirus selbst in sehr seltenen Fällen eine Erkrankung auslösen oder durch genetische Rekombination mit Coxsackie-Viren gefährlich werden.

Möglicherweise wird deshalb auch in der weltweiten Kampagne zur Kontrolle der Polio auf den in Österreich seit fast zehn Jahren verwendeten injizierbaren Tot-Impfstoff umgestellt. Nach drei Teilimpfungen ist ein Mensch in der Regel lebenslang gegen das Virus immun. (red/APA)