Julia Baumgartner (31) ist Wohnsitzärztin in Graz und Vorsitzende der Jungen Allgemeinmediziner Österreichs (JAMÖ) in der Gesellschaft der Allgemeinmedizin.

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Standard: Sind Allgemeinmediziner gut ausgebildet?

Baumgartner: Die Turnusausbildung nach dem Studium dauert drei Jahre, davon muss man sechs Monate in einer Lehrpraxis oder einer Lehrambulanz machen.

Standard: Reicht das, um als Hausarzt zu arbeiten?

Baumgartner: Nein, mit dieser Ausbildung hätte ich mich selbst nie in der Lage gesehen, eine niedergelassene Praxis zu führen. Erfahrungen in der Lehrpraxis sind wichtig. Viele Ärzte, die nur im Spital gelernt haben, versuchen, sich das Wissen nach der Ausbildung noch in der Freizeit bei niedergelassenen Ärzten zu holen. Man kann also nicht sagen, dass die niedergelassenen Allgemeinmediziner schlecht ausgebildet sind. Aber das System unterstützt sie nicht.

Standard: Es gibt nun einen höheren Kollektivvertrag für Turnusärzte in Lehrpraxen. Er ist allerdings umstritten, weil der den Ausbildungsärzten zu teuer ist. Was sagen Sie dazu?

Baumgartner: Für die jungen Ärzte ist das sicher eine positive Situation. Die Entwicklung ist aber gesamt gesehen ein Schritt gegen die Verbesserung der Ausbildung, weil viele Ausbildungspraxen niemanden mehr nehmen. Ohne allgemeinmedizinische Versorgung ist das Gesundheitswesen künftig nicht finanzierbar. Es gibt in Österreich aber im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern für die Lehrpraxen keine ausreichende öffentliche Förderung.

Standard: Der Kollektivvertrag ist also ein Pyrrhussieg?

Baumgartner: Ich gehe davon aus, dass die Einführung des Kollektivvertrages von der Ärztekammer mit allen Konsequenzen durchdacht worden ist und Konzepte für Übergangsregelungen und die Finanzierung vorliegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Interessenvertretung die Verantwortung für eine von ihr verursachte Arbeitslosigkeit übernehmen kann. Es gibt Kollegen, denen zugesagte Stellen wieder gekündigt wurden.

Standard: Die Ärztekammer warnt aber bereits selbst, dass es keine Finanzierung gibt. Sehen Sie eine Lösung?

Baumgartner: Ich habe dem Gesundheitsminister geschrieben und die Antwort erhalten, dass es keine freien Mittel für die Lehrpraxen gibt. Das Geld würde für Kinderimpfungen gebraucht. Wörtlich wurde mir mitgeteilt, dass dem Ministerium die praxisnahe Ausbildung zwar sehr wichtig gewesen wäre, "unter den gegebe- nen Umständen aber nicht mehr ermöglicht werden kann". (Martin Rümmele, DER STANDARD Printausgabe, 23.11.2009)