Das Klappern ihrer Stöckelschuhe hört man schon, ehe sie noch in den Saal getreten ist. Auf der Bühne des Austria Center begrüßt Frau Glawischnig die Grüne Generalversammlung. Ihr älterer Sohn hat Lungenentzündung, sagt sie. Es ist Sonntag: Kandidatenwahl für den Gemeinderat. Grüne Politik ist sexy, 50 Prozent des Wiener Gemeinderats müssen weiblich besetzt werden. Auftritt der Frau Kultursprecherin Ringler. Die Beine, schlank und zart wie die eines Models der neuen H&M-Kollektion, dazu ein schwarzes Trauerkostüm und das schöne praktische Gesicht. Sie blickt zur Bühne, drängt mich aus ihrem Gesichtsfeld. Sie will mich einfach nicht sehen. Interessant, denke ich und spreche sie an: "Frau Ringler, wie schön, ich habe Sie sechsmal angerufen!" - "Mich, das kann nicht sein, das wurde mir nicht ausgerichtet", dabei entwischt sie mir. "Ich habe aufgehört, sie anzurufen", schicke ich ihr noch hinterher. Ein Kulturschaffender wollte die scheidende grüne Kultursprecherin sprechen - und blitzte ab.

Ich habe noch mehr unternommen, um aufzufallen. Ich kandidiere selbst. Ich will Kultursprecher der Grünen werden. Frau Ringlers Abgang in die Finanzpolitik hat mich animiert. Meine Neugierde auf die Realpolitik macht mich zum 65. Kandidaten, der sich hier in einem unsäglichen Auswählverfahren quälen lässt, das die Grünen als höchst demokratisch bezeichnen. Gleiche Chancen für alle. Ich wusste nicht, auf was ich mich da eingelassen habe. Mein Bild der Grünen: Rotationsprinzip, Frauenquote, offene Diskussion, fortschrittliche Migrationspolitik, einzige Partei mit einer wirklichen Konzept für das schwul-lesbische Zusammenleben.

"Wie sinnvoll ist denn meine Kandidatur", frage ich am Telefon vor ein paar Wochen einen der Organisatoren der Kandidatenwahl. "Prominenter Quereinsteiger, ich wäre mir da nicht sicher, gewählt zu werden", kriege ich zu hören. Die Auskunft bestärkt mich. Ich kandidiere also und werde zu einem Hearing in das grüne Haus geladen, Häppchen und Punsch im großen Saal. Die Nacht vor dem Hearing kann ich nicht schlafen, was kommt da bloß auf mich zu, ich brauche zu meinem Plan eine Idee, die mich weitertreibt.

Ich erinnere mich an einen Besuch bei der MA 7, bei Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Die gläserne Eingangstür zu seinem Reich, vermutlich aus Panzerglas, blieb mir im Gedächtnis. Ich klopfte an die Türe und schrie "Ich will hier rein!". Ich will Kulturstadtrat werden. Man hat mich lange genug kriechen lassen in dieser Stadt.

"Nehmen Sie bitte vorne Platz". Ich bin drin, im Grünen Haus, im großen Saal, mit zehn Kandidaten und vielleicht 15 Zuschauern und Fragestellern. Ich werde zu meinen politischen Visionen befragt, wofür ich brenne und was ich an Veränderungen einbringen wolle. Plötzlich bricht dieses Hearing auf. Die Organisatorin bittet, mit dem Charme einer Pfeffermühle, wie in einem schlechten Managerseminar die Kandidaten Position zu beziehen. Ich studiere die Bewerbungen meiner Konkurrenten. Merkwürdig: Viele Unternehmer aus dem Mittelstand zieht es zu den Grünen, keine Arbeiter, dafür viele Senioren.

Zurück ins Austria Center - früher Morgen, die Angst der Nacht noch in den Augen, gelange ich ins Kandidatenzimmer. Ich bin alleine mit hunderten Schokoherzen, "Ohnegleichen", mit Bananen und natürlichen Apfelsaftflaschen. Ein junger Mann gesellt sich zu uns. Armin Soyka ist 19, eine "brennende" Gestalt, spricht meist zu laut, er setzt sich und beschäftigt sich sofort mit seiner Rede, die er - auf Platz 20 gereiht - erst in acht Stunden halten wird. Fünf Minuten bleiben für jeden der 65 Kandidaten. In fünf Minuten sollen die 590 im Austria Center erschienenen Grüne entscheiden, ob der Kandidat sich dazu eignet, Politik für zwei Millionen Wiener zu gestalten.

Gleich nach seiner Rede will Armin Soyka ins Audimax, um mit den Studenten weiter zu demonstrieren. Ich ignoriere die Schokoherzen und die erotische Ausstrahlung dieses jungen Kandidaten und gehe gleich in den Saal. Ich bin einer der ersten. Ich liebe leere Säle. Der Tag hat seine Dramaturgie. Zwei ältere Damen mit Stock wählen einen Platz vor mir. Ein Mann um die 50 setzt sich neben mich. Er hustet. Ich wende mich nach links, Virenangst verstärkt meine Hypochondrie, das Blut steigt mir in den Kopf, ich sehe lauter Schweinchen vor mir Platz nehmen. Von den grünen, saftigen Wiesen treibt man sie ins Austria Center, um für klares Wasser und besseres Gras zu kämpfen. Aber die Drogen kommen den ganzen Tag nicht vor. Gewisse Themen sind nicht mehr auf grünen Höhen zu finden, die Legalisierung von Haschisch und Marihuana wird hier von keinem mehr gefordert.

Die Grünen sind vorsichtig geworden, sie passen sich an. Die geschürte Terrorangst, die Islamophobie spricht niemand an. Später sage ich in meiner Rede: "Ich möchte nicht in einer Stadt leben, wo die Banken, die gerade Millionen Steuergelder abgezockt haben und uns mit Werbesprüchen wie ,Konservativ liegt im Trend' kommen, mir einen Notkredit verwehren." Meine Rede wird durch freundlichen Applaus unterbrochen. Ich sage: "Diese Partei braucht einen neuen Aufbruch, eine neue Sprache. Ich habe Angst vor ihrer Gleichgültigkeit." Das Präsidium wird nervös und fordert mich mehrmals auf, die Rede zu beenden. Ich schreie ins Publikum: "Ich habe Hoffnung", dann dreht man mir das Mikro ab. Ich hebe die Stimme und sage: "Ich kann auch ohne." Jetzt tobt der Saal, ich habe das Publikum in meiner Hand, es will neue Kämpfer sehen, denke ich und brülle ins Auditorium: "Wir sollten uns anstrengen, Farbe zu bekennen: Grün!"

Fünf Minuten, die mein Leben verändern werden, denke ich anschließend und tappe mit meinem Stock zurück neben den Mann mit dem Virenbefall. Ich gehe aufrecht, als wäre der Tag für mich bestens gelaufen. Die ersten Gratulanten kreuzen meinen Weg. Ich sehe mich schon als Führer der Grünen in ein neues Jahrzehnt gehen. "Kulturstadtrat von Wien" - Ich werde die Weinstöcke von Bürgermeister Häupl ausreißen und Hanffelder anpflanzen lassen, damit die Kahlenberger Hühner ihr Leben auf saftigen Wiesen endlich genießen und nicht bloß Eier der Größe XL produzieren müssen. Die Gratulanten führen mich zurück in die Realität und die Ankündigung des Wahlergebnisses. Um Gottes willen: Ich habe die Frauenquote vergessen.

Nur zwei Männer und zwei Frauen können weiterkommen. Vier Kandidaten kommen in den nächsten Wahlgang. Mein Name ist nicht dabei. Ich komme auf 24 Stimmen, das sind 3,8 Prozent. Aber es gibt schlechtere Ergebnisse. Peter Wurm erreicht nur 1,1 Prozent und wird mein Freund, als er sagt: "Diese Basisdemokratie funktioniert dadurch, dass jeder in den Bezirken 15 Freunde hat." Die gescheiterten Kandidaten treffen sich an einem Tisch vor dem Eingang in den Festsaal, wo man mit Traubenzucker die Nerven zu beruhigt. Ich brauche psychologische Hilfe, denn wie soll man diese Prozedur verkraften, diesen Fall vom Kulturstadtrat zurück zum Traubenzucker?

Dann marschieren sie an mir vorbei, die Animateure grüner Politik, Prof. Van der Bellen, Peter Pilz, sie klatschen sich auf die Schultern: Weiter geht's und aufwärts geht's mit der alten Mannschaft und keinen Überraschungen! Niemand hat sich mit neuen Ideen eingeschlichen, wie es gedacht war, ist es auch gekommen. Die Spitzenkandidatin Maria Vassilakou tritt alleine für Platz eins an. Die Spannung ist greifbar, als sie gewählt wird. Ich frage Sie: "Was fühlen sie jetzt, Frau Vassilakou?" - "Ich fühle mich gestärkt." - "Wird die Kultur jetzt zur Chefsache erklärt?" - "Ich bin überzeugt, dass Marco Schreuder in den Gemeinderat einziehen wird." Der lässt das Kopferl noch sinken, holt sich Trost von den Mitarbeitern. Er kandidiert für Kultur und die "Grünen Andersrum".

Frau Glawischnig ist auch wieder da und trägt mit Stolz ihr jüngstes Kind im Arm. Hunde sind nicht zugelassen, die warten in den Autos in der Parkgarage. Die grünen Tierschützer sind wohl zu Hause geblieben. Vielleicht hätten die mich gewählt, ich hätte sofort meine Rede verändert - mehr Kultur für die Tiere! Es hätte niemand bemerkt. (Peter Kern, DER STANDARD, Printausgabe, 21.11.2009)