Gauß: Bonus-Zahlungen für Sanierer überfällig!

Foto: STANDARD/Cremer

Erinnerungen an die barbarischen Zeiten, als sich Post und Eisenbahn noch in Staatsbesitz befanden. Und eine Danksagung an die Kräfte des Fortschritts, die das Volk aus der etatistischen Knechtschaft befreiten - Von Karl-Markus Gauß

***

Manchmal quälen mich Erinnerungen an die barbarischen Zeiten, in denen ich jung war. Damals mussten wir in dem Viertel, in dem ich aufwuchs, einen Briefträger erdulden, der sich die Frechheit herausnahm, die Post wirklich jeden Werktag zuzustellen. In jener Ära der Unfreiheit befand sich die Post in Staatsbesitz und sah ihren Auftrag lächerlicherweise darin, die Bevölkerung mit ihren Postsendungen, nicht Versager mit Posten als Sanierer zu versorgen. - Aber was heißt Versager? Ist es ein Versagen, wenn in dem Salzburger Stadtteil, in dem ich jetzt wohne, die Post mitunter nur mehr einmal in der Woche zugestellt wird? Nein, keineswegs. Denn erstens: Die viele Arbeit! Wer möchte schon dauernd von Briefen behelligt werden, die er womöglich auch noch beantworten soll?

Leidensgenosse Molterer

Die Post, indem sie diese nicht zustellt, macht sich verdient um die Lebensqualität der Bevölkerung. Und zweitens schult uns die Post, die für einen erkrankten Briefträger keinen Ersatz mehr auf den Weg schickt, pädagogisch in die Privatisierung ein, deren Vorzüge wir erst zu nützen lernen müssen. Wenn die öffentlichen Dienste nämlich vollständig privatisiert sein werden, wird der Kunde König sein und als unumschränkter Alleinherrscher über sein Leben für alles selber sorgen dürfen: Es ist ihm dann erlaubt und angeraten, die Briefe, die er schreibt, auch gleich selber zuzustellen. Sein Geld darf er dann ohne weiteres bei Instituten der privaten Pensionsvorsorge abgeben, die es für ihn verspekulieren. Und gegen ordentliche Bezahlung darf er seine Kinder sogar auf Schulen und Universitäten schicken, in denen nicht in überfüllten Hörsälen und von überfordertem Personal staatlicher Druck ausgeübt wird, sondern private Förderung der vielen Talente angesagt ist, die in den Sprösslingen schlummern.

Reden wir also nicht vom Versagen, sondern vom Triumph der Privatisierung. Bizarre Vorstellung, dass die Post einmal nicht dazu da war, Aktionären Gewinne zu bescheren, sondern Zeitungen, Briefe, Pakete zuzustellen oder darauf zu schauen, dass das Telefonnetz in Ordnung ist! Er durchdringt mich immer noch, der vor religiösem Eifer flackernde Blick des Bundeskanzlers Wilhelm Molterer, als er vor drei Jahren im ORF - privatisieren! - verkündete, dass das noch immer viel zu große und viel zu gut funktionierende Unternehmen Post weiter und weiter privatisiert werden müsse. Es war eine Form von heiligem Irresein in ihm, der Furor jener österreichischen Fundamentalisten, die die Welt privatisieren wollen, nicht weil es den Menschen nützt, sondern weil es gottgefällig ist, auch wenn darüber alles in Scherben geht. Schon damals dachte ich mir, Österreich ist zu klein für einen Mann von so großen Visionen, den müssten wir als Kommissar nach Brüssel schicken, denn auch in der Europäischen Union gibt es noch allerhand Dinge, die darauf warten, gründlich kaputtgemacht zu werden.

Als Molterer und ich, die wir dem gleichen Jahrgang angehören, die Schule hinter uns hatten, da wurden wir als Staatsknechte dazu gezwungen, die Gratisfahrkarten für Studenten in Anspruch zu nehmen. Und wenn die Molterers und ich nach zwei, drei Semestern darauf kamen, dass wir uns für das falsche Fach entschieden hatten, und daher die Studienrichtung wechselten - was ich zum Beispiel gleich mehrfach tat, bis ich das mir Gemäße gefunden hatte -, dann mussten wir es hinnehmen, dass unsere Eltern trotzdem weiterhin die Kinderbeihilfe ausbezahlt bekamen.

Das ist entwürdigend, und darum war ich glücklich, dass mir das Finanzamt dreißig Jahre später, als sich mein Sohn das Gleiche erlaubte wie ich, nämlich es mit einem anderen Fach zu probieren, gleich die Kinderbeihilfe gestrichen hat. Vor allem in Familien, die es auf weniger Einkommen bringen als die meine, wird der Zusammenhalt wesentlich inniger ausgestaltet, seitdem die Eltern gestraft werden, wenn sich ihre Kinder nicht schon mit achtzehn auf eine Schiene stellen lassen, auf der es dann, nicht links, nicht rechts schauen, hurtig durch die Ausbildung und hinein ins Berufsleben geht.

Wer sich auf der Universität ein Bild von der Welt machen, sich also bilden will, der kann dies jetzt würdevoll gegen den Staat tun, er ist nicht mehr, wie damals wir, auf etatistische Demütigungen angewiesen. Seltsam genug, dass von meinen Studienkollegen gerade die etwas zuwege gebracht haben, die sich am längsten nicht entscheiden mochten und sich ein paar Semester lang in ganz verschiedenen geistigen Revieren umgesehen haben.

Als ich den Minister Hahn vor einiger Zeit im ORF - keine Sorge, was das Programm betrifft, privatisiert er sich schon selbst - über sein Konzept der Universitäten sprechen hörte, also darüber, dass er keines habe, dachte ich mir: Für den Mann sind die österreichischen Probleme zu klein, deswegen weigert er sich, gekränkt über die Unterforderung, ein paar Ideen zu ihrer Lösung zu entwickeln. Gerade weil er zu Hause nichts zustande bringt, muss er unser Mann in Brüssel werden, damit er an großen Aufgaben reife.

Manchmal, wenn ich an meine schwere Jugend denke, als die Züge noch fuhren, weil es Leute gab, die von da nach dort transportiert werden wollten, und nicht, weil Börsianer daran etwas verdienen mussten, wird mir ganz schlecht. Was war das für eine Welt verglichen mit der, die wir unseren Kindern hinterlassen!

Warnendes Beispiel

Das wollte ich dankbar auch der Salzburger Post mitteilen, die mir letzte Woche nur an zwei von fünf Werktagen Briefe zugestellt hat. Aber ach, ich habe Stunden am Telefon zugebracht und fand doch keinen, der für das, was ich kundtun wollte, der richtige Empfänger gewesen wäre. Ich wurde durchgereicht, von einer Hotline zur nächsten, ziemlich lange verweilte ich telefonisch in Bad Hall, im schönen Tirol, in das mich eine Mitarbeiterin der Salzburger Post zur Erholung umgeleitet hatte, dann ging es in die Hauptstadt, wieder nach Salzburg, bis mich ein freundlicher Herr bat, kurz zu warten, und nach zehn Minuten das Besetztzeichen erklang.

So ging es munter hin und her, ohne dass es mir gelungen wäre, einen Zuständigen zu erreichen und zu bitten, mir die Post, wenn's genehm ist, auch weiterhin nur mehr zweimal in der Woche auszuliefern, denn als ich kürzlich in Moldawien war, im ärmsten Land Europas, habe ich den Ärger der Leute gesehen, die dreimal in der Woche ihre Post in Empfang nehmen mussten.

Was die Privatisierung von Post und Bahn anbelangt, sind meiner Meinung nach längst wieder ein paar Bonus-Zahlungen fällig; nicht für die Mitarbeiter, die kleinmütig vor einem Desaster gewarnt haben und an denen jetzt zahllose Kunden ihr Mütchen kühlen. Nein, der Bonus gebührt denen, für die gilt: Wer nichts ist und wer nichts kann, saniert die Post und Eisenbahn.  (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.11.2009)