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Angeklagte Amanda K., Studentin aus Seattle, am Freitag bei Gericht in Perugia.

Foto: Reuters/Bianchi

Perugia/Rom - Fraglich, ob ein erfahrener Krimiautor einen Stoff so perfekt aufbereiten könnte: ein Mord ohne Motiv, ohne Zeugen, ohne Tatwaffe, ohne Geständnis und mit wenigen Indizien, fünf Beteiligte verschiedener Nationalitäten und eine hübsche US-Studentin, die manche Medien als "eiskalten Engel" bezeichnen. Zutaten, die sich dazu eignen, die morbide Neugier der Leser und Fernsehzuschauer zu stimulieren: Sexspiele, Drogen, Gewalt.

Und eine unbeantwortete Frage: Wer hat die britische Gaststudentin Meredith K. ermordet, die am Allerseelentag 2007 in einer Wohngemeinschaft in Perugia tot aufgefunden wurde? War es ihre 21-jährige Mitbewohnerin Amanda K., die der Staatsanwalt als "vielschichtig, durchtrieben und unbefangen schildert"? War es Amandas Ex-Freund Raffaele S., behüteter Sohn aus bürgerlichem Hause, dessen Selbstpräsentation im Internet auf "erhebliche Selbstüberschätzung" deutet? Seit rund einem Jahr wird ihnen in Perugia der Prozess gemacht, am Freitag begannen die Schlussplädoyers.

Oder war es der Afrikaner Rudy G., der Sex mit dem Opfer keineswegs bestreitet und versichert, vom flüchtenden Mörder bedroht worden zu sein? Wurde die 22-jährige Britin nach ausgiebigem Drogen- und Alkoholkonsum erstochen, weil sie sich weigerte, an Sexspielen teilzunehmen? G. hatte sich auf einen verkürzten Prozess eingelassen, in dem er zu 30 Jahren verurteilt wurde. Jetzt beteuerte er erneut vor Gericht seine Unschuld: "Ich habe mich im Bad aufgehalten, als ich einen Schrei hörte. Ich habe die Türe aufgerissen und einen Unbekannten gesehen, der mich bedrohte."

So reich die pikanten Details, so arm die Faktenlage: Die Wohnung wurde nach der Tat so gründlich geschrubbt, dass die Fahnder sogar Fingerabdrücke von Mitbewohnerin Amanda vermissten. Ein als mögliche Tatwaffe präsentiertes Messer werten Gutachter schwammig als "mit dem Mord nicht kompatibel."

Gewiss, die schöne Studentin aus Seattle, die im Gefängnis Sprachen lernt, Gitarre spielt und mit Heiratsanträgen überhäuft wird, hat mehrmals gelogen. Sie hat einen Reggaemusiker beschuldigt, sich zur Tatzeit in der WG aufgehalten zu haben, und ihn zehn Tage hinter Gitter gebracht. Dafür macht sie "den Druck der Polizei" verantwortlich. Britische Zeitungen unterstellen der Polizei schlampige Spurensuche, US-Medien werten den Prozess als "Justizfarce all'italiana" mit mehr als dürftigen Beweisen. Blogger analysieren den Fall und vertreiben T-Shirts mit dem Aufdruck "Free Amanda".

Auf belastende Indizien antwortet die Angeklagte mit Unschuldsbeteuerungen: "Ich weiß, dass ich Meredith nicht umgebracht habe." Über die "Schöne mit dem Engelsgesicht", die je nach Einschätzung als "durchtriebenes Luder" oder "unschuldiges Dreamgirl" dargestellt wird, sind bereits Bücher erschienen. Sie verlieren sich in unzählige Mutmaßungen darüber, was am 2. November 2007 in dem Haus in der Via della Pergola passiert sein könnte.

Ob Rudy G.s Rolle dabei erneut vor Gericht verhandelt wird, könnte noch am Wochenende entschieden werden. Das Urteil gegen Amanda K. und Raffaele S. wird in frühestens zwei Wochen erwartet. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD Printausgabe, 21./22.11.2009)