Wien - Der Wiener Landespolizeikommandant Karl Mahrer spricht von einem "klaren Notwehrfall". Er war zwar bei den tödlichen Schüssen auf einen suizidgefährdeten Mann, der mit einer Schusswaffe gedroht haben soll, nicht dabei, doch die bisher gesammelte Fakten ergäben keinen Zweifel. Zur Sicherheit wurde jedenfalls das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) mit der genauen Rekonstruktion dessen beschäftigt, was sich am Sonntag in einer Wohnung in der Neilreichgasse in Wien-Favoriten abgespielt hat.
Wie berichtet, hatte die Polizei einen Notruf von einer Frau erhalten. Ihr 31-jähriger Freund habe gerade angerufen und angekündigt, Selbstmord zu begehen, auch ein Schuss sei zu hören gewesen. Die Frau befand sich gerade im Burgenland und wusste nicht, von wo aus der Freund angerufen habe. Eine Stunde später war sie bereits wieder in der Bundeshauptstadt und fuhr gemeinsam mit zwei Polizisten zu ihrer Wohnung, deren Schlüssel der Freund hatte. Er war tatsächlich da, sperrte aber erst nach einigem Zögern die Tür auf.
Daraufhin habe der Mann einen ruhigen Eindruck gemacht, betonte am Montag ein Polizeisprecher. Doch als einer der Beamten vor der Tür telefonisch den Amtsarzt anforderte, soll der Mann drinnen plötzlich eine Pistole auf den zweiten Beamten gerichtet haben. Letzterer zog, nicht wissend, dass es sich bei der täuschend echt aussehenden Waffe nur um eine Gaspistole handelte, seine Dienstpistole und schoss zweimal. Der Mann starb noch in der Wohnung.
Seine Freundin ist eine wichtige Zeugin, sie konnte aber vorerst nicht einvernommen werden, weil sie einen Schock erlitten hat. Auch der Polizist, der geschossen hat, befindet sich in psychologischer Betreuung. Das BIA soll unter anderem herausfinden, ob es möglich gewesen wäre, dem Mann die Schreckschusspistole schon vorher abzunehmen.
Waffengebrauchsgesetz
Der Gebrauch der Dienstwaffe ist im Waffengebrauchsgesetz genau geregelt. Wer sein Leben oder das von anderen verteidigt, handelt in Notwehr. Rechtswidrig ist das, wenn die Abwehr nicht notwendig oder gerechtfertigt beziehungsweise die Beeinträchtigung des Angreifers unangemessen ist. Exekutivbeamte müssen binnen Sekunden entscheiden, ob sie zur Schusswaffe oder zu sogenannten gelinderen Mitteln wie Pfefferspray greifen sollen oder vielleicht auch der Einsatz von Körperkraft ausreicht.
Auch im Fall des Kremser Polizeieinsatzes, bei dem im August ein 14-jähriger mutmaßlicher Einbrecher erschossen worden war, wird der Schusswaffengebrauch geprüft. Der angeschossene, 17-jährige Freund des Opfers steht am Mittwoch wegen Einbruchs vor Gericht. (simo, DER STANDARD Printausgabe, 24.11.2009)