Wien/Baku/Eriwan - Über die Bande spielen und dem Gegner den Billardstock scheinbar unabsichtlich in die Seite stoßen, gehört zu den Grundfertigkeiten der hohen Diplomatie. Das lässt sich dieser Wochen wieder am Endloskonflikt um die armenische Enklave Berg-Karabach in Aserbaidschan verfolgen. Baku spielt gegen Eriwan, meint aber die Regierung in Ankara; Eriwan spielt auf Ankara, trifft aber nebenbei noch die Führung in Baku.

Geschlagene vier Stunden verhandelten am Sonntag die Präsidenten der verfeindeten Kaukasusstaaten Armenien und Aserbaidschan über Truppenabzug und Referendum in Berg-Karabach. Das Gespräch fand im französischen Generalkonsulat in München statt. Frankreich vermittelt zusammen mit Russland und den USA in diesem Konflikt, der an sich schon kompliziert ist. Durch das türkisch-armenische Protokoll vom 10. Oktober aber, in dem die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der Grenzen vereinbart worden war, ist der Streit um Karabach noch unübersichtlicher geworden. Allerdings auch dynamischer.

"Einige wichtige Fortschritte" seien gemacht worden, meldete der französische Vermittler Bernard Fassier nach der Runde in München. Alter Gepflogenheit in der Karabach-Diplomatie folgend, blieb offen, worin der "Fortschritt" dieses Mal bestand, und was wiederum die "Schwierigkeiten" waren, die in München ebenfalls identifiziert wurden.

Plausibel scheint aber, dass sich Serge Sarkisian, der armenische Präsident, und Ilham Alijew, sein Gegenüber aus Aserbaidschan, in der Frage der Nutzung eines Straßenkorridors in die Enklave näher gekommen sind. Dies ist ein Punkt eines detaillierten, in Phasen gegliederten Friedensplans, der nun schon seit Jahren vorliegt, über den aber die Bevölkerung in beiden Ländern nicht informiert wird.

Denn eine öffentliche Debatte über Karabach nutzt keinem der mehr oder minder autoritär regierenden Staatschefs und ihren Geschäftsinteressen. Der brüchige, seit 1994 geltende Waffenstillstand und die ständige Drohung mit Krieg sollen vielmehr das Wahlvolk disziplinieren.

Seit den Verhandlungen zwischen der Türkei und ihrem kleinen Nachbarn Armenien über eine Normalisierung der Beziehungen ist die Gleichung des Karabachkonflikts länger geworden. Plötzlich fühlen sich die Aserbaidschaner von ihrer Schutzmacht betrogen und sinnen nach Revanche.

Ilham Alijew dreht deshalb an der Energieschraube. "Unlogisch" sei das doch, dass Aserbaidschan seit Jahren der Türkei Erdgas zu einem Preis liefere, der ein Drittel unter dem Marktniveau liege, erklärte Alijew seinen Ministern bei einer Kabinettssitzung, die im Fernsehen übertragen wurde. Das war knapp eine Woche nach der Unterzeichnung des türkisch-armenischen Protokolls in Zürich. Baku verhandelt derzeit mit Ankara über einen neuen Gaspreis. 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter sollen es sein, so fordern die Aserbaidschaner.

Als Transitland für Gas und Öl braucht Aserbaidschan die Türkei auch nicht zwingend und lässt es sie spüren. Baku schloss Exportverträge mit Russland und Anfang November mit Bulgarien ab. Das "Nabucco" -Projekt, bei dem Gas aus Zentralasien oder dem Iran über die Türkei nach Österreich geliefert werden soll, hat für Baku unter diesen Umständen auch keinen strategischen Wert mehr.

Ankara ist sich des Drucks bewusst. Es werde "keine weiteren Schritte" geben, so lange es keinen Fortschritt in der Karabach-Frage gebe, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu. Das heißt: keine Grenzöffnung ohne Abzug der armenischen Truppen aus den besetzten Gebieten um Karabach. Für das Tempo der Verhandlungen um die Enklave kann es beides sein - gut oder schlecht. ( Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2009)