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Friedrich Stickler: "Fußball ist nicht gefährdeter. Beim Tennis sind Betrügereien wahrscheinlich noch einfacher."

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Standard: Im aktuellen Wettskandal im europäischen Fußball ist von einer neuen Dimension die Rede. Teilen Sie die Einschätzung der Bochumer Staatsanwaltschaft?

Stickler:Vorweg - ich spreche als Präsident der europäischen Lotterien, das sind 19 Länder, die eng mit der Uefa kooperieren. Es ist erst ein Zipfel gehoben, es wird noch viel schlimmer werden. Nicht unbedingt bei der Anzahl der Spiele, 200 sind ohnedies genug. Was die Betragshöhen betrifft, da werden die Summen gewaltig steigen.

Standard: Das Problem ist vermutlich auch die Nachweisbarkeit.

Stickler: Der Nachweis ist das Schwierigste überhaupt. Wann schießt ein Spieler absichtlich daneben? Wann ist es nur Unvermögen oder Pech? Torleute machen Fehler, das ist in der Regel menschlich. Wann hat einer bewusst gepatzt? Besonders schlimm ist es, sollten Schiedsrichter involviert sein. Weil sie als Unparteiische bezeichnet werden. Aber auch die völlig Unbestechlichen pfeifen manchmal falsch. Wir haben es mit einer organisierten Kriminalität zu tun, da ist viel Geld im Umlauf. Es ist eine Mischung aus Wettbetrug und Geldwäsche.

Standard: Klingt ziemlich hilflos.

Stickler: Eine gewisse Hilflosigkeit ist nicht zu leugnen. Die Netzwerke sind derart verzweigt. Es gibt ein Dreieck des Verbrechens. Da gibt es das Syndikat, die Spuren führen in den fernen Osten und nach Südosteuropa. Dann gibt es eine Zielmannschaft in irgendeiner Liga. Es reicht, wenn Kontaktleute zwei bis drei Spieler in Schlüsselpositionen ansprechen und für sich gewinnen. In ganz anderen Ländern wird dann gewettet. Die offiziellen Sportwettenanbieter kriegen das gar nicht mit, weil es keine Auffälligkeiten gibt. Bei praktisch allen der verdächtigen Partien merkten der Buchmacherverband und die Sportwettengesellschaft keine Abweichungen.

Standard: Als ehemaliger ÖFB-Präsident, Sponsor und Uefa-Funktionär kennen Sie das Innenleben. Ist der Fußball speziell gefährdet? Macht er es den Syndikaten nicht allzu leicht?

Stickler: Fußball ist nicht gefährdeter. Beim Tennis sind Betrügereien wahrscheinlich noch einfacher. Da muss nur eine Person bestochen werden. Ein Doppelfehler im richtigen Moment ist rasch passiert. Aber jeder Sport, in dem manipuliert wird, bekommt große Schwierigkeiten. Im Radfahren war es halt das Doping. Man muss wachsam sein und sofort aufschreien. Die Zusammenarbeit mit Interpol muss noch intensiver werden, die Datenbanken und die Frühwarnsysteme müssen weiter verbessert werden. Man kann das Problem nur auf europäischer Ebene halbwegs in den Griff bekommen.

Standard: Erlauben Sie die etwas naive Frage. Wäre Wettverbot eine Lösung?

Stickler: Nein, natürlich nicht. Vor dem Auftauchen des Internets, dem man sich natürlich nicht verschließen kann, darf und soll, war die Wettwelt noch in Ordnung. Es wurde in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht. Es gibt bei den Einsätzen keine Obergrenzen mehr, illegale Anbieter schütten sofort 90 und mehr Prozent aus. Das ist der Nährboden für Geldwäsche. Besonders problematisch sind die Live-Wetten im Internet. Man kann darauf setzen, welches Team den nächsten Outeinwurf bekommt. Mit Anpfiff eines Spiels sollte es mit den Einsätzen vorbei sein. Gibt es Auffälligkeiten, könnte man noch rechtzeitig einschreiten.

Standard: Sollte ausschließlich der Staat Wetten anbieten dürfen? Ist der neuerliche Skandal ein Argument für das Glücksspielmonopol?.

Stickler: Es bedarf strengerer gesetzlicher Auflagen und Regeln. Eine völlige Liberalisierung halte ich für kontraproduktiv.

Standard: Wenn man zum Beispiel durch Wien geht, sieht man an jeder zweiten Ecke eine Wettcafé.

Stickler: Das ist auffallend, das Sportwettengeschäft hat sich völlig verändert, der Zugang ist viel einfacher geworden. Das Toto war das kleine Vergnügen für den kleinen Mann, er hat den Schein ausgefüllt und aufgeben. Dass ausgerechnet eine dieser zwölf Partien geschoben war, war praktisch ausgeschlossen. Toto gibt es übrigens immer noch, nur spielen es nur mehr ganz wenige.

Standard: Hängt man nicht einer Illusion an? Warum sollte ausgerechnete der Fußball besser sein als die restliche Welt?

Stickler: Da haben Sie vermutlich recht. Aber der Fußball muss besonders aufpassen. (Christian Hackl, DER STANDARD, Printausgabe, Dienstag, 24. November 2009)