Eigentlich sollten wir zu viert sein, mit dem Fahrrad den Iran und mit dem Zug Pakistan durchquert haben. Eigentlich hatten wir vor, auch in Indien unter freiem Himmel zu schlafen, jede Nacht, so wie in guten alten Zeiten. Eigentlich ist in den letzten Wochen so viel passiert, dass ich darüber Romane schreiben könnte. Doch in Wirklichkeit kam alles anders.
Unsere Reise, die jetzt nur noch meine Reise ist, hat ihr Gesicht völlig verändert. Und es passiert so viel, dass zum Schreiben kaum noch Zeit bleibt. Zuerst fand ich mich in einem Flugzeug wieder - auf dem Weg nach Delhi, in einem Transportmittel, das wir auf dieser Reise immer vermeiden wollten und das meinen ökologischen Fußabdruck nachhaltig versauen wird (dabei waren wir in den Monaten davor doch so brav gewesen). Doch was blieb mir anderes übrig?
Indien machte es mir unmöglich, es zu mögen
Ich bin auf mich gestellt - zwei sprangen ab, einer wurde krank, ich war weder mutig genug zum Aufgeben, noch allein mit dem Fahrrad Iran und Pakistan zu durchqueren. Kaum in Indien angekommen, wollte ich so schnell wie möglich wieder weg. Delhi ist nicht gerade der geeignete Ort, um sich mit diesem Land anzufreunden. Die durchwachte Flugnacht, der Erstkontakt mit dem völlig durchgeknallten Verkehr, der andauernde Lärm, ein halber Tag auf erfolglosen Suche nach einer einzigen Schraube für mein Fahrrad und die bösen Bakterien, die meinen Darm während der Flucht in Richtung Nepal überfielen - Indien machte es mir unmöglich, es zu mögen.
Strahlende Kinder im Freudentaumel.
Daran konnten auch die vielen bunten Eindrücke und die Schar freundlicher Menschen wenig ändern, so sehr sie sich auch bemühten. Nepal hingegen hielt, was der Reiseführer versprochen hatte ("those arriving to Mahendranagar from India will feel an instant sense of relief"). Alle Anspannung fiel ab, kaum dass ich die Grenze passiert hatte. Der sogenannte "Mahendranagar Highway" ist eine Dorfstraße, auf der sich ungefähr zehnmal so viele Ziegen und Fahrräder wie Autos tummeln. Das in Indien allgegenwärtige Hupen verstummte weitgehend und die Hotelzimmer hatten plötzlich richtige Fenster.
Liebenswürdiger Radfahrer auf dem Mahendranagar-Highway.
Nepal gefiel auf Anhieb
Neben authentischem Dorfleben bot Nepal Nationalparks mit Nashörnern und Bergstraßen mit wunderschönen Ausblicken. Ein Paradies für Radreisende. In Pokhara, dem Tor zum Himalaya mitten in Nepal, traf ich dann endlich wieder vertraute Gesichter und entschied mich für zwei Wochen Pause vom Radfahren.
Tibetischer Flüchtling zwischen glücklichen Besitzern europäischer Pässe.
Bootfahren und Trekken standen jetzt auf dem Programm, danach Ausspannen mit Blick auf die nahen Siebentausender. Und schon ging es weiter. Varanasi, eine der heiligen Städte Indiens, war das nächste Ziel meiner Freunde und ich hängte mich noch für eine Woche bei ihnen an. Eine gute Entscheidung für eine aufregende Stadt! In Varanasi wimmelt es von Allem: von Indern, ausländischen Touristen, Affen, Kühen (sowieso) und einer Reihe anderer Säugetiere.
Müder Wandersmann auf dreitausend Metern Seehöhe.
Die reinste Freude. Allerdings währt sie nicht lang. Denn morgen sitze ich endlich wieder im Sattel. Das nächste Ziel: Shillong im Nordosten Indiens. Mein Fahrrad läuft noch ebenso tadellos wie mein Toughbook, die Projekte von Licht für die Welt sind nur noch gute zwei Wochen entfernt, die Campingausrüstung habe ich nach Hause geschickt, weil nicht mehr nötig. Varanasi hat es geschafft: Langsam beginne ich Indien richtig zu mögen und mich auf die nächsten Wochen in diesem riesigen, bunten und verrückten Land zu freuen. Wonderbird geht in den Endspurt! (Uwe)