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Raich: "Schimpfen ist für mich kein Ventil, das kostet mich nur Energie. Ich bringe Kritik dort an, wo sie Sinn hat. Manchmal auch über die Medien."

Foto: APA/ Techt

Lake Louise - Benjamin Raich ist der aussichtsreichste Österreicher im Kampf um die große Kristallkugel im alpinen Skisport. Im Jahr eins nach Hermann Maier wirkt der 31-jährige Tiroler konzentriert, fokussiert und austrainiert wie noch nie. Nach dem Abfahrtstraining in Chile hat Raich auch die EM, den Show-Bewerb in Moskau und zuletzt sogar das ÖSV-Training in Sun Peaks ausgelassen, um sich möglichst gut vorzubereiten.

Seit 1999 hat Raich elf Winter in Folge in den Top-Ten der Weltcup-Gesamtwertung beendet, die vergangenen sechs Saisonen war er nie schlechter als Dritter. Trotz dieser Weltrekordleistung und seiner 34 Weltcupsiege hat Raich die große Kugel "nur" einmal (2006) gewonnen. Nicht zuletzt deshalb unternimmt der Pitztaler in der Olympia-Saison nun alles, um endlich wieder ganz oben zu stehen.

Wie er das angeht, warum er sich trotz knapper Niederlagen als Glückspilz sieht, er nach wie vor von einem Abfahrtsieg träumt und warum sich der erdige Tiroler nie verbiegen würde, um sich ein anderes Image zu geben, erzählte Raich vor den ersten Speed-Rennen in Lake Louise im Interview.

Sie haben viele Dinge ausgelassen um daheim in Jerzens mit Bruder Florian statt mit dem Team in Kanada zu trainieren. Warum?
Raich:
"Warum soll ich einen Showbewerb bestreiten, wenn ich wegen meines dichten Kalenders sogar Weltcuprennen auslasse? Früher, als ich nur Slalom und Riesentorlauf gefahren bin, wäre das möglich gewesen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich zweimal knapp am Weltcup gescheitert bin."

Sehen sie Aksel Svindal trotz seiner Beinverletzung nach wie vor als Hauptkonkurrenten?
Raich: "Sicher. Und für ihn ist wie für alle anderen noch nichts verloren oder versäumt, nur weil er wie Bode Miller in den ersten zwei Rennen nicht gepunktet hat. Eine Weltcupsaison ist enorm lang. Ich bin gespannt, wie Aksel in Form ist."

Was wird den Weltcup entscheiden?
Raich: "Dass man gesundbleibt und konstant vorne mitfährt. Denn dass es leichter geworden ist, nur weil man zuletzt mit weniger Punkten den Weltcup gewinnen konnte, glaube ich nicht. Im Gegenteil. Es gibt so viele Spezialisten. Im Slalom bist du früher mit einem Fehler noch 5. geworden, heute bist du gleich 15. oder 20. Da gibt es vergleichsweise fast keine Punkte mehr dafür."

Was kann man tun, um Erfolg möglich zu machen?
Raich: "Es gibt viele Rädchen, an denen man drehen kann. Das habe ich immer getan und das behalte ich auch so bei. Anders werden müssen Dinge wie bei mir in Kitzbühel, als ich im Slalom nicht zurückgestiegen bin, weil mir nicht bewusst war, dass es auch noch Kombipunkte gegeben hätte. Solche Fehler sollten nicht passieren. Es darf kein Rennen mehr geben, in dem ich irgendetwas aufgebe. Es ist erst vorbei, wenn's vorbei ist."

Sie fahren seit über einem Jahrzehnt ganz vorne mit, sind Doppelolympiasieger und dreifacher Weltmeister. Nur den Weltcup haben sie erst ein Mal gewonnen. Fehlte das Glück?
Raich: "Nein. Ich habe sogar sehr viel Glück gehabt in meiner Karriere, war nie schwer verletzt und immer vorne dabei. Auch ich habe Rennen knapp gewonnen, hatte Rückenwind oder bessere Sicht als die anderen. Letztlich gleicht sich alles aus. Man kann sich nur gut vorbereiten und versuchen, konzentriert zu bleiben. Am Beginn meiner Karriere hat es mich im Sölden-Training viermal den Hang hinunter überschlagen, so etwas kann auch ganz anders ausgehen. Auch ein Raich stürzt irgendwann, dann brauchst du das Glück, dass du dir nicht wehtust."

Sind Sie also eher der Lauda-Typ, der auf regennasser Piste aus dem Auto steigt wenn's zu krass wird?
Raich: "Mir ist nichts zu hart. Ich mache alles für den Erfolg und gehe oft den harten Weg. Aber ich mache keine Dinge um jeden Preis. Im Training nehme ich dann entsprechend zurück, es gibt auch Rennen, die würde ich heute nicht mehr fahren. Im Auto kannst bei Regen stehen bleiben. Bei uns ist das unterm Fahren schwierig."

Man hört selten öffentliche Kritik von ihnen. Stört sie außer der gefährlichen Verbreiterung der Ski wirklich nichts?
Raich: "Ich bin sogar ein sehr kritischer Mensch. Aber ich hau nicht drauf, kritisiere nur, wenn es etwas bringt. Schimpfen ist für mich kein Ventil, das kostet mich nur Energie. Ich bringe Kritik dort an, wo sie Sinn hat. Manchmal auch über die Medien."

Hat sich etwas verbessert?
Raich: "Bei Dingen, die rund um Lanzinger passiert sind oder bei der inhumanen Kalenderplanung sehe ich leichte Besserung. Ich verstehe aber nicht, warum man nicht kapiert, dass ein breiterer Ski zwangsläufig aggressiver ist. Ich habe immer gesagt, dass das nicht der richtige Weg ist. Aber ich verstehe, dass man das nicht von heute auf morgen umsetzen kann."

Sie trainieren nun deutlich weniger Abfahrt. Ist das nicht mehr so wichtig für Sie?
Raich: "Nein. Ich habe mein diesbezügliches Ziel nie aufgegeben, irgendwann auch eine Abfahrt zu gewinnen. Auch wenn viele Schmunzeln, es ist nicht unmöglich. Am besten bin ich immer in Kitzbühel. Aber das Ganze ist ja kein Wunschkonzert."

Die Szene sucht nach dem Maier-Rücktritt einen neuen Superstar. Sehen Sie sich als einen Kandidaten?
Raich: "Hermanns Story kann man nicht planen, so etwas passiert. Es braucht Ereignisse, die in Erinnerung bleiben. Auch mein Sieg, als ich von 23 auf 1 fuhr, war markant. Ich bin nicht beleidigt, dass Hermann mehr Aufmerksamkeit bekommen hat und ich hatte auch eine Menge Angebote. Aber ich werde weder krampfhaft Schauspielern noch Singen, nur damit sich die Leute mein Gesicht besser merken. Ich habe keinen PR-Berater, aber ich glaube, ich komme bei den Menschen ganz gut rüber. Das Bild, das man von mir hat, ist so, wie ich bin. Man würde spüren wenn ich etwas mache, was ich nicht bin."

Wird es so eine Überlegenheit wie zu den besten Maier-Zeiten überhaupt noch jemals geben?
Raich: "Das Leben ist wie eine Ziehharmonika, auch der Skisport. So eine drastische Überlegenheit wird es vielleicht nicht mehr geben. Aber vor 40 Jahren hat man Rennen mit vier Sekunden Vorsprung gewonnen, der Hermann war oft eineinhalb Sekunden vorne. Alles wird enger. Der kommende Seriensieger wird vielleicht nur noch fünf oder sieben Zehntel Vorsprung haben." (APA)