"Simon" ist ein potenzielles europäisches Leitprojekt der verbalen Steuerung, da es unabhängig von der Muttersprache sensomotorisch beeinträchtigter Benutzer funktioniert.

Illustration: STANDARD/Köck

Es tut sich offensichtlich doch hie und da ein Fenster auf für die barrierefreie Kommunikation am PC. "Simon" heißt dieses Fenster, und es liegt über Windows wie ein offenes Ohr. Freilich auch über Linux, denn "Simon" ist ja selbst eine Open-Source-Software, die großzügig über Behinderungen durch ein Betriebssystem hinwegschaut: Es gilt als die weltweit erste, universelle Spracherkennungslösung zur Befehlseingabe, die kostenlos vertrieben wird.

"Simon" ist bei weitem nicht das einzige Ziehkind von Franz Stieger, das anfangs etwas mehr Unterstützung benötigte. Der Sonderpädagoge und Sprachtherapeut arbeitet als Lehrer in der Steiermark mit Jugendlichen, die sensomotorisch und/oder sprachlich eingeschränkt sind. Dreizehn- und Vierzehnjährige haben deshalb als Erste dieses Programm getestet, das Maus und Tastatur zur Eingabe von Befehlen vollständig ersetzt. "Simon" ist erwachsen geworden und tut bereits seine Arbeit.

Die Software bekam die nötige Zuwendung anfangs von der Technischen Universität Graz und vom Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation. Die Technologie für eine derartige Lösung kann ein - wiewohl technisch sehr versierter - Lehrer nicht allein entwickeln, und er kann sie sich unter Umständen auch nicht leisten. Die erstmalige Kooperation eines Einzelunternehmers mit einer Forschungseinrichtung war daher ein klassisches Einsatzgebiet für den "Innovationsscheck", der über die Forschungsförderungsgesellschaft vergeben wird. 5000 Euro ist er wert, und ein KMU kann damit die punktuelle Leistung eines Forschungspartners abgelten.

Hören, wer da spricht

"Simon" musste aber auch deshalb mühevoll großgezogen werden, weil bisher bekannte Spracherkennungslösungen zwei wesentliche Kriterien nicht erfüllen: Sie sind zu kompliziert für Menschen mit wenig EDV-Kenntnissen, und sie sind nicht ausreichend individualisierbar. Bei "Simon" liegt ein Desktop-Gitter mit nur neun Feldern an der Benutzeroberfläche, zum Steuern des Computers ist also nur das Aussprechen von zehn (inklusive des Befehls "O. K.") frei definierbaren Sprachbefehlen nötig. Bedient werden damit beliebige Programme, die sonst auch auf einem Computer zu finden sind. Und in den Anwendungen gegebenenfalls eine verbal steuerbare Tastatur zum Schreiben.

Vor allem aber die Abstimmung auf sehr unterschiedliche Sprecher ermöglicht es dieser Software, besser zu verstehen. Gerade für Menschen mit sprachlichen Beeinträchtigungen ist die standardisierte Spacherkennung per se nämlich ungeeignet. In der Reha Bad Radkersburg wird gerade die mögliche Verwendung für Menschen mit spastischen Lähmungen, welche eben auch die Sprechmuskulatur erfassen können, geprüft.

"Simon" ist übrigens die Muttersprache seiner Befehlshaber vollkommen egal. Erst "hinter" der Basisprogrammierung arbeitet ein länderspezifisches Wörterbuch, das mit geringem Aufwand implementiert werden kann. Dennoch räumt Franz Stieger ein, dass die Software bei Verwendung als Diktiergerät - etwa um längere Texte per Sprachbefehl zu schreiben - noch die größten Schwierigkeiten hat. Um aus dem individuellen Sprachschatz bzw. aus einer unüblichen Aussprache dann ein generalisiertes Sprachmodell zu machen, braucht "Simon" viel Pflege. Das Einpflegen von Wörtern lohnt sich jedenfalls dann, wenn Schulen ihren Auftrag erfüllen müssen, auch Kindern mit Beeinträchtigungen die Schriftsprache zu lehren. Dass die Entwicklung einer eigenen Diktation für jene Schüler effizienter ist als das Erlernen der herkömmlichen handschriftlichen Methode, versucht Stieger gerade mit einer Studie nachzuweisen.

Wächst mit der Erfahrung

Bei pädagogischem Einsatz hat "Simon" also durchaus auch Zeit, mit unterschiedlichen Sprechern mitzuwachsen. Senioren hingegen wollen oder können diese Zeit nicht mehr investieren. Auch für sie ist eine einfache, sprachgesteuerte Oberfläche am Computer vorteilhaft. Für den möglichen Einsatz zur Robotersteuerung, im Aufzug oder am Rollstuhl hat "Simon" jedenfalls ein offenes Ohr. Selbst in diesen Fällen wäre die Innovation nicht einfach die Steuerung per Sprache, sondern dass "Simon" je nach Möglichkeiten der Menschen besser zuhören kann. (Sascha Aumüller/DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2009)