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Die Dunkelziffer ist hoch: Auf eine entdeckte Alkofahrt kommen bis zu 589 unentdeckte, schätzen Experten

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Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer kritisiert: "Alkohol am Steuer ist in Österreich noch immer ein Kavaliersdelikt"

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"Ziel ist es Alkohol und Autofahren zu trennen. Ziel ist es nicht, alle zu Alkoholabstinenten zu machen", sagt Bettina Schützhofer, Verkehrspsychologin bei "sicher unterwegs". Die Rückfallhäufigkeit halbiert sich durch verkehrspsychologische Nachschulungen. Das ergaben regelmäßige wissenschaftliche Evaluierungen, zuletzt ein EU-Projekt, das sich Druid (Driving under the influence of alcohol, drugs and medicines) nennt. Gegenüber derStandard.at kritisiert Schützhofer Österreichs Scheinheiligkeit im Umgang mit Alkohol, zu seltene Alkomatkontrollen und die neue Regelung, dass auch psychologisch nicht geschulte Sanitäter mit Alkolenkern arbeiten dürfen.

Schuldbewusste Klienten

Mehr als die Hälfte von Schützhofers Klienten sind alkoholauffällige Lenker. Zur Nachschulung kommt man, wenn man erstmals mit mehr als 1,19 Promille oder innerhalb von fünf Jahren zwei Mal mit einer Alkoholisierung zwischen 0,8 und 1,19 Promille  im Straßenverkehr auffällig wird. Zur Nachschulung wird auch gebeten, wer zwei Mal innerhalb von zwei Jahren mit einer Alkoholisierung zwischen 0,5 und 0,8 erwischt wird – dabei handelt es sich um eine Nachschulung nach dem Vormerksystem. "Für Probeführerscheinbesitzer gibt es strengere Bestimmungen, die kommen schon ab 0,11 Promille zu uns", erklärt die Verkehrspsychologin.

Der typische Nachschulungsklient sei zwischen 35 und 45 Jahre alt ist. Denn das ist eine Altersgruppe, für die es noch keinen Probeführerschein gab. Dieser habe die Anzahl der jugendlichen Alkolenker reduziert, meint Schützhofer. Alkoholauffällige Lenker seien in der Regel schuldbewusst und nehmen die Nachschulung als Anlass, ihr Leben zu verändern. "Es gibt Klienten, für die bedeutet Freizeit: Stammlokal und Alkohol trinken. Sie sind am ächsten Tag oft verkatert und haben keine Energie für Familie, Sport oder Hobbies", sagt Schützhofer.

Die Nachschulung findet in der Gruppe statt. Es gibt vier Sitzungen, eine pro Woche, eine Sitzung dauert drei Stunden und 15 Minuten. Ziel ist es, in der Gruppendiskussion zur Selbstreflexion anzuregen und neue Verhaltensmodelle zu erarbeiten. "Die Gruppen sind sehr heterogen, ein Hilfsarbeiter sitzt neben einem Primararzt. Die Teilnehmer merken rasch, dass die Gründe, warum sie trinken sehr ähnlich sind und es viel Verbindendes gibt und sie voneinander lernen können", sagt Schützhofer.

"Ein Kavaliersdelikt"

Pro Jahr müssen zwischen 19000 und 20000 Menschen eine Nachschulung machen. Die Dunkelziffer sei jedoch sehr hoch, so Schützhofer: Auf eine entdeckte Alkofahrt kommen bis zu 589 unentdeckte. "In Österreich ist eine Alkomatkontrolle immer noch ein seltenes Ereignis. Es gibt Statistiken, dass Autofahrer alle 33 Jahren in Österreich einen Alkomattest machen müssen. Das ist in anderen Staaten anders", sagt Schützhofer. "Ich mache den Job seit zehn Jahren und ich habe einige tausend Alkolenker gesehen. Ich hatte noch keinen einzigen, der das erste Mal alkoholisiert gefahren ist", berichtet sie. Das bedeutet, dass viele Klienten oft über Jahrzehnte verfestigte Verhaltensmuster entwickeln.

Alkohol am Steuer sei für viele weiterhin ein Kavaliersdelikt. Das Problem ist: Je regelmäßiger und je mehr man trinkt, umso höher wird die Alkoholtoleranz. Schützhofer habe viele Klienten, die seit 25 Jahren regelmäßig alkoholisiert fahren. Jedoch oft nicht mit der Höhe an Alkoholisierung, mit der sie dann einen Unfall bauen oder auffällig fahren. "Wir haben Klienten, die zehn bis 15 Krügerl Bier getrunken haben. Wenn man nach so einer Hohen Alkoholmenge noch Autofahren kann, dann hat man das trainiert", sagt Schützhofer.

Gewohnheit und Restalkohol

Und es gebe gewisse Punkte, die sich wiederholen: "Zu 95 Prozent sind es sehr kurz Strecken, auf denen Unfälle passieren. Bei langen Strecken ist den Lenkern klar, dass sie diese nicht mehr schaffen." Auch Restalkohol ist ein wichtiges Thema. "Wir haben in fast jeder Gruppe einen Klienten, der mit dem Taxi nach Hause, jedoch am nächsten Tag mit dem Auto in die Arbeit gefahren ist. Der Klient hat meistens nicht damit gerechnet, dass der Alkoholspiegel noch so hoch ist", sagt Schützhofer. 

Ein gewisser sozialer Druck ist auch nicht selten dabei. "Es gibt Staaten, in denen Fahrgemeinschaften positiv beworben werden. Der Fahrer ist der Bob und bekommt sogar gratis anti-alkoholische Getränke im Lokal. Aber gerade in Österreich ist es oft noch negativ besetzt, wenn man nichts trinkt", sagt die Verkehrspsychologin.

Kritik an Coaching

Seit ersten September sind die neuen Regelungen für Verkehrscoaching gültig: Alkolenker, die mit 0,8 bis 1,19 Promille erwischt werden, sollen künftig zwei Stunden lang von Rettungssanitätern und zwei weitere Stunden von Psychologen ohne weiterführender verkehrspsychologischer Ausbildung geschult werden. Bisher war die Arbeit mit alkoholauffälligen Lenkern ausschließlich Verkehrspsychologen vorbehalten. "Verkehrspsychologen müssen eine lange postgraduelle Ausbildung absolivieren: Umso schockierender ist, dass nun per Gesetz auch nicht ausreichend qualifizierte Personen mit unserer Klientel arbeiten dürfen", kritisiert Schützhofer. Versuche, bei denen Rettungssanitätern Nachschulungen durchgeführt haben, sind in Europa bereits mehrmals gescheitert. Eine Schweizer Studie ergab, dass solche Kurse keinen Einfluss auf die Rückfälligkeit der Teilnehmer gezeigt haben.

Scheinheiligkeit

In Österreich gebe es eine gewisse Scheinheiligkeit bezüglich Alkohol am Steuer, sagt die Verkehrspsychologin. "Wir haben die 0,5 Promille-Grenze. Doch dadurch, dass wissenschaftlich so gut abgesichert ist, dass man schon ab 0,3 Promille beeinträchtigt ist, holen sich viele Versicherungen im Schadensfall das Geld im Regress zurück." Auch wenn eine Unfallursache auf eine so genannte "Minderalkoholisierung" zurückzuführen ist, kann man für schuldig befunden werden - und man kann schon unter 0,5 beeinträchtigt sein. "Die sicherste Variante ist, Alkohol und Autofahren strikt zu trennen", sagt  Schützhofer. (jus, derStandard.at, 16. November 2009)