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Die herrschenden Eliten im Visier: Mit seinem Stil und seiner Rhetorik weckt Premier Bojko Borissov hohe Erwartungen.

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Zur Person
Der Politikwissenschafter Ivan Kastev leitet seit 2004 das Zentrum für Liberale Strategien in Sofia.

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Das könne ihm aber auch zum Verhängnis werden, sagt der Politologe Ivan Krastev im Gespräch mit Diljana Lambreva.

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STANDARD: Wie zufrieden sind Sie mit der Regierung von Bojko Borissov nach hundert Tagen Amtszeit?

Krastev: Bojko Borissov ist der erste Premier Bulgariens, der nicht der traditionellen Elite angehört. Als jemand "von unten" repräsentiert er das totale Misstrauen eines großen Teils der Gesellschaft gegenüber den Eliten des Übergangs. Und sein komplett anderer Stil, der viele so stört, hat ihm die massive Unterstützung bei den Parlamentswahlen im Juli gebracht. Im Unterschied zu seinen Vorgängern kann Borissov wegen der Wirtschaftskrise deshalb keinen höheren Lebensstandard versprechen. Das Einzige, was er versprechen kann, ist soziale Gerechtigkeit. Deshalb pflegt er eine stark populistische Antikorruptionsrhetorik.

STANDARD: Sie reden mit Sympathie über den Populismus von Borissov?

Krastev: Der Populismus wird bei uns als eine Art Pathologie von Zentral- und Osteuropa verstanden. Dabei handelt es sich aber um eine viel dramatischere Transformation der Politik in Europa, nach der die Teilung von rechts und links nicht mehr bestimmend ist und die wesentliche politische Energie von einer Stimmung gegen Eliten herrührt. Die politischen wie auch die Wirtschaftseliten zahlen keine Steuern, ihre Kinder besuchen bessere Schulen im Ausland, und so ist die Verbindung zwischen ihnen und den Menschen, die sie regieren, abgeschnitten. Deshalb ist die Idee, dass Vertreter der Eliten ins Gefängnis wandern, dass Minister verhaftet werden, so reizvoll.

STANDARD: Was muss Borissov fürchten?

Krastev: Es gibt viele Gerichtsprozesse, die begonnen und wenige, die abgeschlossen wurden. Das könnte zu einer großen Enttäuschung führen. Eine zweite Gefahr für Borissov ist die Kriminalisierung der Politik. Wenn man die Menschen überzeugt hat, dass alles an der bisherigen Politik kriminell war, ist es sehr schwer, im Nachhinein zu beweisen, dass man selbst "sauber" handelt: Die Antikorruptionsrhetorik kann wie ein Bumerang auf das Kabinett zurückschlagen. Eine andere Gefahr ist die unbalancierte Macht der Führung. Im Moment trifft der Premier fast alle Entscheidungen selbstständig. Das Land kann jedoch nicht auf Dauer so gesteuert werden. Borissovs Stil ist es, aus der Perspektive einer permanenten Krise heraus zu regieren.

STANDARD: Eine Priorität der Regierung ist der Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Hat Borissov den politischen Willen dazu, oder ist er selbst bestimmten Interessen untergeordnet?

Krastev: Es ist noch zu früh, das zu beantworten. Aber es wurde leider klar, dass die organisierten Gruppen mit den Geheimdiensten zusammenarbeiten. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Sergej Stanischev etwa, der eine rührende Naivität in diesem Bereich an den Tag legte, kennt Borissov diese Welt. Er kennt auch die Polizei und die Geheimdienste von innen. Ich nehme an, er wird einen erfolgreichen Kampf gegen die Mafia zuerst mit der Reform in der Polizei beginnen.

STANDARD: Borissovs Popularität ist seit den Wahlen sogar noch gestiegen, auf derzeit 63 Prozent. Auch das Vertrauen in die Institutionen hat zugenommen. Weshalb?

Krastev: Zum ersten Mal haben wir einen Premier, der die Weltanschauung des Volkes teilt. Aus dem Ausmaß des Vertrauens in die Institutionen kann man den Effekt einer Regierung einschätzen. Ich würde hier Bulgarien mit der Slowakei vergleichen, wo unter der Fico-Regierung eine früher als unpopulär geltende Wirtschaftspolitik akzeptiert wird. Der Wirtschaftsminister im Kabinett Borissov, Simeon Djankov, setzt eine sehr konservative Sozialpolitik durch. Wenn da jemand anderer wäre, hätten alle protestiert. Gegen die Stimme des Volkes - Bojko Borissov - traut sich keiner aufzubegehren. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.11.2009)