Chefs sind unter Druck - besonders in der Vorweihnachtszeit

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STANDARD: Die Adventzeit und Weihnachten stehen angesichts der enormen zusätzlichen Hektik im Verdacht, eine hohle Sache zu sein -zumindest keine Zeit der Innenschau, keine Zeit der Ruhe. Ihre Branche hat dann Hochkonjunktur, oder?

Engelberg: Ja, es passiert das Gegenteil von Ruhegeben. 90 Prozent der Bevölkerung geraten in einen Riesenstress. Zusammenbrüche häufen sich, weil Menschen mit aufgestauter Anspannung - unabhängig vom religiösen Kontext - in oft schon prekäre Familienkonstellationen kommen.

STANDARD: Das scheint jedes Jahr dasselbe zu sein ...

Engelberg: Wir sind verurteilt, immer in die gleichen Krisen zu geraten, wenn wir nicht neue Zugänge zu uns selbst und zu den Menschen schaffen, mit denen wir in Beziehung stehen. Gelingt das nicht, dann ist es zu Weihnachten alljährlich der Marsch zur Wiederholungstat.

STANDARD: Nehmen Sie heuer nach monatelanger Rezession zusätzlichen Frust, Druck, noch mehr Belastung wahr?

Engelberg: In der Beratung - ja: Die Angst vor Jobverlust ist die größte Bedrohung für sehr viele. Das schafft enormen Druck, noch besser zu performen, noch mehr zu leisten. Es häufen sich auch die Zusammenbrüche. Ich sehe deutlich mehr Symptome von Erschöpfungszuständen - bei mehr Menschen und in intensiverer Form. Burnout nimmt tatsächlich zu.

STANDARD: Aber immer mehr Unternehmen gehen doch dazu über, Mitarbeiter in solchen Krisen zum Coaching, zur Therapie zu schicken?

Engelberg: Es wird häufiger geschickt, die Sensibilität in den Unternehmen gegenüber Burnout-Symptomen nimmt zu. Aber: Leute, die geschickt werden, sind sehr schwierige Klienten. Wer von selbst kommt hat deutlich mehr konstruktive Anteile und eine wesentlich bessere Prognose.

STANDARD: Welche sind die häufigsten Symptome der Menschen im Burnout?

Engelberg: Man gräbt sich immer tiefer ein, trotz unglaublichen Einsatzes für die Arbeit herrscht immer das Gefühl, noch mehr leisten zu müssen. Beziehungen werden vernachlässigt, die Fähigkeit, sich selbst und andere wahrzunehmen, sinkt rapide. Andere werden negativ gesehen - als im Weg stehend, als unverständig. Aggressive, cholerische Leute werden sehr entwertend, beleidigen. Im depressiven Verlauf kehrt sich das nach innen.

STANDARD: Wird derzeit diesbezüglich mehr über Vorgesetzte, über Kollegen geklagt?

Engelberg: Ja. Unter höherem Druck zeigen sich die Defizite in der Persönlichkeit.

STANDARD: Warum werden so viele Vorgesetzte als unerträglich empfunden?

Engelberg: Führungsjobs ziehen narzisstische Persönlichkeiten an. Eine gesunde Portion Narzissmus gehört auch zu solchen Karrieren, sonst tut man sich das ja nicht an, sonst erträgt man auch Kränkungen und Anfeindungen nicht. Diese Menschen sind auch meist sehr charismatisch, sehen gut aus, wirken dynamisch. Aber: Unter Druck kommen die pathologischen Prozesse der Narzissten in Gang.

STANDARD: Welche?

Engelberg: Es werden mehr Gehorsam und Leistung von Mitarbeitern verlangt, es wird abgewertet. Kritiker werden eliminiert, die Gefolgsleute bleiben im Unternehmen. Gerade jetzt sollte in Firmen ein besonders scharfes Auge auf Zustand und Verhalten von Führungskräften geworfen werden.

STANDARD: Gibt es einen einfachen Ausweg für Betroffene - auch aus der "Wiederholungstat" zu Weihnachten?

Engelberg: Schon: Einen Tag am Wochenende wirklich mit den nahen Menschen zusammen sein - nicht nebeneinander telefonieren oder shoppen. Raum schaffen für das, was einen freut - wenn man das noch weiß. Sonst muss man genau das suchen. (Karin Bauer, DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.11.2009)