Wien - Fast zwei Jahre nach Ausrufung seiner Unabhängigkeit sei der Kosovo ein "unfinished state" (unfertiger Staat), nur eingeschränkt souverän und de facto geteilt. Während die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit und die weit verbreitete Armut eine "tickende Bombe" darstellten, habe die EU-Rechtsstaatsmission EULEX nur "bescheidene Erfolge" vorzuweisen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die am Freitag im Wiener Renner-Institut präsentiert wird.
Vor einem Jahr, am 9. Dezember 2008, hat die Europäische Union mit der EULEX-Mission das bisher größte und teuerste Auslandsengagement in ihrer Geschichte begonnen. Die Erfolgsbilanz ist bisher "sehr wenig zufriedenstellend", wie Vedran Dzihic und Helmut Kramer in ihrer Studie feststellen: Die EULEX führe "im Grunde die bisherige weitgehend gescheiterte Politik von UNMIK (UNO-Übergangsverwaltung) fort", heißt es darin.
Denn die EU-Polizei-, Justiz- und Zollmission habe bisher weder etwas gegen die Defacto-Teilung des Landes in einen mehrheitlich von Albanern bewohnten Teil und einen serbischen Norden ausrichten, noch die verheerende wirtschaftliche und soziale Lage des Landes verbessern oder effektiv gegen Korruption und Organisiertes Verbrechen vorgehen können, so die Schlussfolgerungen der Studie. Der Kosovo sei trotz des gewaltigen Einsatzes von Mitteln "in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen noch immer äußerst krisenhaft und instabil", heißt es in der Analyse.
Schuld am bescheidenen Erfolg von UNMIK und EULEX seien auch die internationalen Mitarbeiter selbst. Durch ihre von der Bevölkerung völlig abgehobene privilegierte Lebenssituation, sowie durch peinliche Verstrickungen in Korruptionsfälle hätten die "Internationals" bald die von ihnen beanspruchte Vorbildfunktion verloren.
Keine Fortschritte gebe es auch im Bereich der Minderheiten zu berichten, meint die Studie. Die Situation der ethnischen Minderheiten im Land habe sich seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 weiterhin verschlechtert. Durch die Konzentration der internationalen Gemeinschaft auf den Konflikt zwischen Serben und Albanern seien die prekären Lebensbedingungen der übrigen Minderheiten (Bosniaken, Türken, Roma, Goraner/Goranci, Ashkali sowie Ägypter), die zum Teil heute noch in Flüchtlingscamps leben müssten, vernachlässigt worden.
"Der einzige profitable Wirtschaftszweig im Kosovo, in dem es auch "vertrauensvolle" Zusammenarbeit zwischen Albanern und Serben gibt, scheint die organisierte Kriminalität zu sein", so der ernüchternde Schluss der Studienautoren. Kriminelle Banden am Balkan würden den Heroinhandel in Europa kontrollieren. Lukrativ seien außerdem Schmuggel mit Zigaretten und Benzin, sowie der Frauen- und Mädchenhandel.
In allen anderen Bereichen sei die kosovarische Wirtschaft in einer "katastrophalen Lage", so die Analyse: Wirtschaftswachstum, Außenhandelsdefizit und Armuts- und Arbeitslosenraten würden eine negative Entwicklung aufweisen. Der Lebensstandard im Kosovo sei weit niedriger als in den Nachbarländern. Fast 40 Prozent der Kosovaren leben in Armut, davon etwa 15 Prozent in extremer Armut, was bedeutet, dass sie mit weniger als 90 Eurocent pro Tag auskommen müssen. Am prekärsten sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von etwa 45 Prozent aus. Die Jugendarbeitslosigkeit in der jüngsten Gesellschaft Europas liegt gar bei 70 Prozent.
Die Forderung der Studienautoren an die Europäische Union ist es daher, ihre EU-Politik im Kosovo zu "überdenken und wesentlich zu verändern". Vor allem müsse Prishtina (Pristina) eine konkrete Perspektive für eine EU-Integration geboten werden, um die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Bisher ist der Kosovo das einzige Land des Westbalkan, das kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU unterzeichnet hat. Außerdem ist das Land im Gegensatz zu seinen Nachbarn nicht in den Prozess der Visa-Liberalisierung einbezogen worden. (APA)