Bis Ende des Jahres läuft die "Projektphase" für die Neustrukturierung der Wiener Sozialzentren. Die Stadt Wien bezeichnet die Reform als "großen Wurf". Sozialarbeiter kritisieren, dass ihre Tätigkeit in den Hintergrund gedrängt wird.

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Der Berufsverband diplomierter Sozialarbeiter schlägt Alarm. Seit September wird die Umstrukturierung der Wiener Sozialzentren vorgenommen - und das wird kritisiert: "Viele Klienten fallen durch die Maschen des Systems", sagt ein Vertreter des Berufsverbandes im Gespräch mit derStandard.at.

Bei den Sozialzentren handelt es sich um jene Einrichtungen, wo Bedürftige Sozialhilfe beantragen. Bisher haben die Personen bei der Beantragung der Sozialhilfe einen Beratungstermin bei einem Sozialarbeiter im Sozialzentrum zugewiesen bekommen, um über Unterstützungsmöglichkeiten aufgeklärt zu werden. Aufgrund des massiven Anstiegs der Sozialhilfeempfänger in den letzten Jahren war es in den insgesamt zehn Sozialzentren der Stadt Wien aber zu immer längeren Wartezeiten gekommen. Sozialarbeit wurde durch Verwaltungstätigkeit immer stärker in den Hintergrund gedrängt.

Nun wurden die verpflichtenden Beratungsgespräche durch Sozialarbeiter abgeschafft. Hilfe von Sozialarbeitern bekommen nur noch jene, die ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter verlangen. Die Stadt Wien hofft, dass die Anträge nun schneller abgearbeitet werden können. Das Ziel ist, den Ansturm, der sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, besser bewältigen zu können.

Sozialarbeit, wenn der Hut schon brennt

Die zuständigen Sozialarbeiter in den Zentren sehen die Reform aber nicht nur positiv. Die Klienten erfahren nicht rechtzeitig, dass es Sozialarbeiter gibt. Erst dann, "wenn der Hut schon brennt", werden sie eingeschaltet, wird kritisiert. Sozialarbeiter werden erst dann kontaktiert, wenn Betroffene unmittelbar vor der Delogierung stehen, weil sie die Miete nicht bezahlen können. 

Zudem sei es schwierig festzustellen, ob bei einzelnen Klienten Betreuungsbedarf gegeben ist. "Die Anträge werden jetzt schriftlich gestellt. Nur wenn der zuständige Verwaltungsbeamte, der nicht dafür geschult ist, feststellt, dass der Klient Hilfe benötigen könnte, wird er weitergeleitet", erklärt ein Sozialarbeiter-Vertreter, der seinen Namen nicht im Internet lesen will. Er schätzt die Zahl der neu vorsprechenden Klienten, die nicht wissen, dass es Sozialarbeiter gibt, auf über 90 Prozent.

Keine "Zwangsverpflichtung" mehr

Bis Dezember läuft die Projektphase für die Neuorganisation der Sozialzentren, danach soll es eine Evaluierung geben. Das bestätigt auch Renate Pommerening-Schober, Chefin der zuständigen Magistratsabteilung für Soziales (MA 40). Sie versucht zu beruhigen und sagt zu derStandard.at, dass die Umstrukturierung bisher "sehr gut" läuft. Die Stadt handle im Interesse der Kunden, denn die Wartezeiten seien nun kürzer und die Klienten würden nicht mehr "zwangsverpflichtet", einen Beratungstermin wahrzunehmen.

Pommerening-Schober bezeichnet die Reform als "großen Wurf". Auch das Feedback der Klienten sei positiv, weil die Stadt keine Beschwerden erhält. Die Kritik der Sozialarbeiter entschärft sie, indem sie sagt, dass diese ja nun "viel mehr Zeit haben, sich um jene Klienten zu kümmern, die sich auch wirklich für einen Termin gemeldet haben."

"Qualität liegt in der Prävention"

Der Sozialarbeiter-Vertreter wünscht sich aber, dass seine Kollegen in den Zentren ernster genommen werden. Er berichtet, dass sie "bisher kein Gehör gefunden" hätten. In den Sozialzentren gibt es 50 Sozialarbeiter, jedoch dreimal so viele Verwaltungsbedienstete. "Für die Sozialarbeit bleibt keine Zeit." Das störe die Sozialarbeiter sehr.

Ziel sei es, dass die Menschen die Sozialarbeiter rechtzeitig aufsuchen: "Unsere Qualität liegt in der Prävention."  (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 30.11.2009)