Abzug der Roten Armee aus Ungarn: Ein Sowjetsoldat vor einer Reihe von Panzern.

Foto: Robert Newald

"In Österreich wird bis heute so getan, als wäre die Konsequenz des Ersten Weltkriegs eine immense Verkleinerung des österreichischen Territoriumsgewesen": Ehemaliger Wachturm an der österreichisch-ungarischen Grenze.

Foto: Robert Newald

Im Jahr 1989 gab es eine Unzahl von Tagen, an denen unmittelbar die Gefahr drohte, von der Wucht des jeweiligen historischen Augenblicks weggeschwemmt zu werden, hinein in eine Rührseligkeit, die einem die Ganslhaut über den Rücken jagen konnte. Ich bin durch den Zufall der Geburt ein grenzaffiner Mensch und zusätzlich infiziert mit einer bis heute kaum abgeklungenen Magyarophilie. Ich war daher also besonders rührseligkeitsgefährdet, zumal es ja auch die Ungarn gewesen sind, die dem Zustand namens „real existierender Sozialismus", den man sich heute nur noch schemenhaft vorstellen kann, den Garaus gemacht haben. Mit all dem makaberen Pathos, zu welchem das Ungarland von jeher neigt.

Aber es war dann letztlich nicht Ungarn, das mir den intensivsten Augenblick beleidigend kindischer Rührseligkeit beschert hat, sondern die Tschechoslowakei. Vielleicht hing das ein wenig mit meinen behmakelnden Tanten zusammen. Oder mit dem Besuch in Bratislava bereits ein Jahr zuvor, im Sommer 1988, als ich den Abend des 21. August in einer gespenstisch leergefegten, greifbar verängstigten Stadt zu verbringen hatte. Wie zwangsläufig endete er im einzig geöffneten Lokal,eines mit der Anmutung und der Getränkekarte eines Branntweiners. Ich war der einzige Gast. Der Barmann stellte sich schnell als früherer Kellner im Wiener Schweizerhaus heraus, und wir beide räsonierten deshalb ohne Sprachprobleme so lange über diesen 20. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings, dass ich am nächsten Morgen zum Geldwechseln im Hotel gezwungen war. „Schwarz oder offiziell?", fragte die Dame in der hoteleigenen Wechselstube mit dem Zungenschlag und dem Charme meiner Tanten. Und ich wusste, was ich an diesem Land und seinen Menschen warum liebe.

Wucht des Augenblicks

Das alles und weitaus mehr noch kulminierte im 2. Dezember 1989, dem Tag, als das letzte Stück des Eisernen Vorhangs fiel . Es war der erste Tag der Visafreiheit. Bewaffnet mit dem bloßen Reisepass und psychisch aufgewühlt machten wir uns auf den Weg hinüber nach Pressburg: das nicht ganz anderthalbjährige Kind, dessen Mutter und ihr Lebensgefährte, also ich. Mit großer Neugierde schoben wir den Kinderwagen durch die Stadt, deren heutige Herausgeputztheit keinen Anhaltspunkt mehr bietet für das Bild, das sie damals bot. Ich suchte heimlich nach dem Branntweiner und fand ihn nicht mehr, und während das Kind mehrmals von seiner sonnigen auf die andere Gemütsseite wechselte, besprachen wir, uns anekdotenhaft an unseren eigenen Erlebnissen entlanghantelnd, die Ereignisse dieses Jahres, das an diesem 2. Dezember schon in die Geschichte eingegangen war.

Und irgendwann spürte ich, wie die Wucht des historischen Augenblicks mich wegzuschwemmen begann. Es war ein immens peinlicher Moment, in dem ich mich selbst als eine Kitschfigur wahrnahm. Bis dahin war mir das erst einmal passiert, knapp zwei Jahre zuvor, als das Labor telefonisch die Ergebnisse der pränatalen Untersuchung mit den Worten „gesunder weiblicher Chromosomensatz" durchgegeben hatte.

Als junger Vater und junge Mutter redeten wir nicht über die weltpolitischen Implikationen des Augenblicks, das Friedensprojekt oder die makroökonomischen Konsequenzen. Wir redeten über das Kind, darüber, was die gerade ablaufenden Ereignisse für unsere Tochter und die Welt, in der sie aufwächst, bedeuten würden. Da kann es schon einmal passieren, dass einem die Gefühle durcheinandergeraten.

Seit Jahren schon waren wir beide, die spätere Mutter und der spätere Vater, in ein kleines Netzwerk von Künstlern in Budapest verwoben, welches mit seinem Dissidentencharme und der Grenzenlosigkeit magyarischer Gastfreundschaft nicht hinter dem Berg hielt. In diesem Netzwerk gab es viele wunderbar entspannte, anregende, sozusagen den eigenen Blick ostwärts verlängernde Abende, grandiose Versumpfungen. Und bei allem Schwadronieren standen jene Abende doch auch im Zeichen einer Zuversicht, die nun, 1989, sich anschickte, zur Wirklichkeit zu werden; für uns selbst, und für unsere Kinder.

An den Budapester Abenden wurde auch viel über Österreich geredet. Von magyarischer Seite ein wenig neidisch, fast so, als wäre Österreich eine Art Orientierungshilfe. Das ging so weit, dass an manchen dieser Abende sogar der Monarchie und ihrer verdammenswerten wienerischen Gewichtung ein wohlwollender, wenn auch ironisch streng begrenzter Gesprächsraum eingeräumt wurde. Tatsächlich galt Otto Habsburg in jenen Jahren in Ungarn als Star, dessen Ungarisch sehr gelobt wurde, etwas, das sonst ganz, ganz selten passiert. Nie jedoch war an diesen Abenden davon die Rede, dass die Zuversicht der Dissidenten auch nur irgendwie mit Österreich zu tun habe.

So hätte man fast den Eindruck gewinnen können, man selbst sei als Österreicher angesichts der geschichtlichen Ereignisse völlig aus dem Schneider. Nur einmal hat ein Oberst der Honvéd, der ungarischen Armee, kurz etwas zu bedenken gegeben. Es war am 2. Mai dieses Jahres 1989 in Hegyeshalom, als man der internationalen Presse den Abbau der veralteten Grenzanlagen verkündete. Ein österreichischer Journalist fragte, was das nun für Österreich bedeute, wenn da ein jeder ungehindert die Grenze passieren könne. Und der Oberst erwiderte: „Das ist nun die Angelegenheit Österreichs." Aber es hätte wohl dem Geist dieser Tage widersprochen, hätte das irgendwer nicht als Auftakt zu neuer Freiheit, als Aufbruch in eine bessere Zeit empfunden.

Kampf gegen die Schwerkraft

Mit all diesen und noch viel mehr Erinnerungen fuhren wir am 2. Dezember 1989 als junge Familie nach Bratislava, wo sich schon viele Österreicher umtaten, auch sie getragen vom Hauch der Historie und wacker der eisigen Temperatur trotzend. Die Tochter übte fleißig den Kampf gegen die Schwerkraft und verlor ihn verständlicherweise zuweilen. Als wir von der Innenstadt Richtung Donau flanierten, saß sie wieder im Wagen. Ich erinnere mich, dass mich das peinigendes Gefühl überkam, als ich den Wagen schob. Es war vor dem Pressburger Nationaltheater, das wie eine Schwester dem Budapester Vígszínház, dem Klagenfurter, Czernowitzer, Szegediner und dem Wiener Volkstheater gleicht. Schräg gegenüber stand das ehrwürdig vergammelte Hotel, in dem die charmante Geldwechslerin demnächst nicht mehr ihren Dienst versehen würde, weil ja die Zwangsumwechslung auch schon zur Geschichte zählte.

Die Straßenbahn ruckelte, von der Donau herauf, quer über den Platz, und wahrscheinlich haben wir gerade darüber geredet, dass es demnächst wieder eine schnelle Bahnverbindung geben werde zwischen Wien und Pressburg, dem Vorbild der legendären Elektrischen folgend.
An diesem 2. Dezember 1989, vor dem Pressburger Theater, hatte mich mit einer ungeheuren Plötzlichkeit das Gefühl, ja die Gewissheit, übermannt, dass meine Tochter in einem größeren Österreich aufwachsen werde, in einem, das sich etwas zurechtrückt in der neuen Welt, nicht in einem, das die eigene Geschichte entweder verklärend oder gar nicht zur Kenntnis nimmt. Nicht ein großes Österreich wäre das gewesen, bloß ein größeres. Nicht ein über sich hin_auswachsendes, sondern ein über sich hinausweisendes, das in vielen Bereichen die Nachbarn so inkorporiert, wie das kleine Burgenland es durch seine Minderheiten bis vor kurzem getan hat oder eh noch tut, aber da bin ich mir nicht mehr so sicher.

Niedlichmachen, Niedermachen

Es kann schon sein, dass die Budapester Gespräche mich für den ganzen monarchischen Kitsch empfänglich gemacht haben. Oder vielleicht nicht für den monarchischen Kitsch, aber doch für die Überzeugung, dass der hierzulande bis zum Erbrechen gefrönten Niedlich- und damit Niedermachung der Geschichte auch andere Sichtweisen gebühren würden. Nicht nur ungarische, aber auch ungarische auch. In Österreich wird bis heute ja so getan, als wäre die Konsequenz des Ersten Weltkriegs eine immense Verkleinerung des österreichischen Territoriums gewesen. Da und dort - Südtirol, böhmische und mährische Randgebiete - mag das ja stimmen. Aber im Großen und Ganzen tut es das nicht. Es so darzustellen, und sei es nur unterschwellig, hieße, Serbien mit Jugoslawien, Tschechien mit der Tschechoslowakei, die Türkei mit dem Osmanischen Reich zu verwechseln. Eine Mitschuld an dieser verheerenden Sicht trug Heinz Conrads, der populäre Witwentröster, der ein ums andere Mal sang: „Als Böhmen noch bei Öst'rreich war, vor fuffzig Jahr', vor fuffzig Jahr'." Eine Geschichts- und dummerweise auch Geografiefälschung, die um nichts wahrer wird durch die unbestreitbare Tatsache, dass sich damals „mein Vater g'holt hat aus Brünn a echte Wienerin".

Erst in Budapest habe ich erstmals den Heinz Conrads aus dem Ohr gekriegt. Und erstmals wirklich den beängstigenden Pathos von Franz Theodor Csokor verstanden, als da am Ende des Dritten November 1918 der jüdische Regimentsarzt Dr. Grün seinem verstorbenen Oberst „Erde aus Österreich" ins Grab nachwirft. Vielleicht war es im Müvész, dem kleinen Lokal hinterm Vígszínház, wahrscheinlich aber - und aus Symbolgründen wohl unvermeidbar - im Svejk Vendéglõ bei einem Pilsner Urquell, als mir endgültig klar geworden ist, dass Österreich und Österreich zwei grundverschiedene Angelegenheiten sind. Das eine Österreich hat nicht nur eine kleinösterreichische, sondern genauso eine ungarische, tschechische, slowakische, kroatische, slowenische, bosnische, polnische, ukrainische, selbst oder gerade eine italienische Geschichte, bzw. es ist diese Geschichte sogar selbst. So grundverschieden war das von meinem erworbenen Verständnis, dass es einen sehr wohl schaudern machen konnte. An diesem 2. Dezember 1989, vor dem Pressburger Theater, im Angesicht der elektrischen Straßenbahn und angestopft mit all den Ereignissen des Jahres war mir auf einmal klar, dass Österreich sich nun neu zu erfinden haben würde und dass ich an dieser Aufgabe mitzuwirken hätte.

Dass ich an dieser Aufgabe gescheitert bin, braucht wohl keine nähere Erläuterung. Mit mir gescheitert ist meine ganze Generation, die damals, vor 20 Jahren, damit angefangen hat, das Heft in die Hand zu nehmen. Für eine Generation, die sich zu nicht unwesentlichen Teilen in einem Widerspruch zum kollektiven Versagen der Eltern und Großeltern definierte, ist das ein durchaus verheerender Befund, der zu großer Bescheidenheit, ja beinahe zur Abbitte mahnt.

Erst dieses Scheitern hat die enorme Verzwergung dieses verschwurbelten Landes, in dem es zur Gewohntheit geworden ist, dass man unter dem zynischen Keifen einer Innenministerin Kinder mit aller Härte der Gesetze verfolgt, während die möglichen Rechtsbrüche eines Landeshauptmanns unterm augenzwinkernden Hinweis auf dessen Begriffsstutzigkeit nicht einmal untersucht werden. Wo es zur Gewohnheit geworden ist, dass schwerbewaffnete Burschen gezwungen werden, durchs Land zu patrouillieren, um dort Wahrnehmungen zu machen und weiterzumelden, wenn eventuell Fremde ihr Unwesen treiben. Wo es zur Gewohnheit geworden ist, die Nachbarn zuallererst einmal als Bedrohung für praktisch alles zu empfinden, was einem selbst heilig ist, nicht nur für den Arbeitsplatz, aber für den natürlich auch. Und wo sich selbst der operative Chef des Landes nicht zu blöd ist, seine Verachtung für alles, was mit Europa zu tun hat, stolz wie einen schmucken Hut herumzutragen.

Alles, was Österreich an diesem 2. Dezember 1989 an Chancen, ja eigentlich an unausweichlichen Chancen gehabt hat, ist mit einer fast boshaften Nonchalance verjuxt worden. Wohl auch aus einem gewissen Hass auf die eigene Herleitung. Der wird durch kaum etwas besser illustriert als durch den Umstand, dass an der hochrangigen Straße nach dort, von wo der Vater seine echte Wienerin einst geholt hatte, immer noch gebaut wird. Jetzt ist der Ruf ruiniert. Und es steht zu befürchten, dass das Land daraus jenen Schluss zieht, den das Sprichwort dummerweise nahelegt.

Ignorante Selbstbespiegelung

Es hätte einige Ansätze gegeben. Aber alle blieben stecken in einem zähen Schleim ignoranter Selbstbespiegelungen. Einen Erhard Busek hat man so in die Verbitterung einer Art inneren Emigration vertrieben, wo er zwar noch emsig weiterarbeitet am Projekt Mittel_europa, aber er tut das im Schatten, während in Budapest schon recht bald ein diesbezügliches Institut ins Leben gerufen wurde, das mit viel Nachdruck jene beschämt, die über jede Erwähnung von Mitteleuropa, Donauraum, kulturelle Verwandtschaft die Nase rümpfen, weil sie dem allen bloß schnöde Habsburgerei unterstellen.

Selbst einen Jörg Haider hätte man nützen können, Österreich ein neues Gesicht zu geben. Sein Befund, dass dieses Land eine ideologische Missgeburt sei, hat ja insofern einiges Gewicht, als sich darin der Nachhall der großdeutschen Idee fand, der das frühere Österreich letztlich zum Opfer gefallen ist. Aber statt die Chance zu nutzen, via Debatte darüber die Vorstellung eines übernationalen Gemeinwesens, wie es ja auch die EU ist, unter die Leute zu bringen, punzierte man die „ideologische Missgeburt" ausschließlich mit dem Stempel des Nazismus und erreichte so unter anderem, dass fast ein Drittel der Wähler insgeheim aber wirkungsmächtig der Meinung waren: „Wo er recht hat, hat er recht". Unterdessen rückte die Vorstellung, Österreich sei einmal das Synonym für einen multikulturellen Lebensraum gewesen, in so weite Ferne, dass heute ein jeder fast unwidersprochen sagen kann, „Multikulti" sei etwas, das von „Gutmenschen" bloß herbeigeredet werde zum Zwecke der „Umvolkung". Dafür aber dürfen dann die Mölzers und wie sie alle heißen sich auf die „Ideale von 1848" berufen, oh_ne dass Österreich aufschreit und die geschmissten Burschen mit den nassen Fetzen eines soliden Patriotismus heim in die Frankfurter Paulskirche scheucht.

Zumindest im Wollen 

In den zwei Jahrzehnten nach 1989 wäre es an der Zeit gewesen, eine andere, oder pathetisch: die eigentliche Idee von Österreich ins Spiel zu bringen. Die Idee eines Lebensraums, der sich gerade den östlichen und südlichen Nachbarn gegenüber offen und neugierig zeigt. Und der zum Beispiel auch seine Minderheiten, die ihn mit den Nachbarn ja aufs Engste verbinden, hegt, pflegt und so fördert, dass sie gedeihen.

Der Ruf Wiens strahlte damals weit hinein in den Osten und den Südosten. Wir wären es uns schlicht schuldig gewesen - nein: ich wäre es meiner Tochter schuldig gewesen -, sich dem zumindest im Wollen gewachsen zu zeigen. Statt dessen musste sich meine Tochter ei_ne Infrastrukturministerin anhören, die den Plan für eine neue Eisenbahnlinie deshalb nicht gutheißen wollte, weil diese „ins Ausland" führe.

Österreich ist mit solchen schandbaren Entwicklungen bei Gott nicht allein. Mehr noch: Trotz allem verhält es sich hierzulande immer noch deutlich zivilisierter als anderswo, da braucht man gar nicht ans aktuelle Ungarn denken, aber das zu tun drängt sich leider auf. Allerdings hätte es Österreich bei einigem guten Willen in der Hand gehabt, sich aktiv als zivilisierender Faktor einzubringen in die ja nicht ganz unabsehbare Entwicklung, oder das wenigstens aus Dank für die Gnade der Nachkriegsgeschichte zu versuchen. Dummerweise diskutierte man damals gerade Fukuyamas grandiose Infantilität namens Das Ende der Geschichte, während rundherum die Geschichte mit einer geradezu mörderischen Wucht zurückkehrte. Österreich hätte zumindest die Lehre aus der eigenen Geschichte einbringen können, sagen wir in Jugoslawien, dem eigentlichen Nachfolgestaat jener Monarchie, in welcher der rote Marschall Josip Broz groß geworden ist. Da aber erschien es vielen diplomatisch günstiger, sich darüber zu freuen, dass ein Kaffeesieder in Split sein Lokal „Café Mock" nannte.

Nicht ein großes Österreich, bloß ein größeres. Nicht ein über sich hinauswachsendes, sondern ein über sich hinausweisendes, das seine Nachbarn in vielen Bereichen inkorporiert. Nun ja, daraus ist nichts geworden. Und manchmal denke ich mir, das muss so sein. Es mag am Alter liegen. Vielleicht aber auch an der zutiefst österreichischen Einsicht, dass nur der glücklich ist, der vergisst, was nicht mehr zu ändern ist. Und da frage ich mich zuweilen, ob beispielsweise Werner Faymann glücklich ist, der Lordsiegelbewahrer des fortgeschrittenen Enten-Fellnerismus, innerhalb dessen alles, was nicht „wir" ist, nur dann zur Kenntnis genommen wird, wenn es keine Hunde mag. Dann aber ordentlich und mit deutlichen Worten.

Ja, das war jetzt ein sarkastischer Schlenkerer. So einen macht man dann, wenn man die eigene Scham überspielen will. Oder man greift zum Trick des Fremdschämens. Der funktioniert oft, aber nicht immer. Denn vor meiner Tochter steh ich ja allein. Und muss ihr dann gestehen, dass wir es in der Hand gehabt hätten - aber leider verschissen haben. Wir haben zugelassen, dass wir uns die Engstirnigkeit einziehen wie einen Schiefer.

Wir sind dann noch etwas trinken gegangen, damals in Bratislava, und dann zurück nach Wien gefahren. Entgegengekommen ist uns eine lange, heimkehrende Kolonne. In Wien hört man dann, den ganzen Dezember hindurch, jedenfalls bis Weihnachten: „Die Böhm' san wieder da!" Das hatte einen so schönen Klang nach künftiger Normalität, dass der Umstand, dass es sich zum Großteil um Slowaken handelte, überhaupt keine Rolle spielte. In dem Satz „Die Böhm' san wieder da" schwang ein unüberhörbares „endlich" mit. Aber vielleicht habe ich mir das, immer noch gefangen im Pressburger Gefühl, nur eingebildet. Denn wenig später war ja alles schon wieder ganz anders.
Nämlich so. (Wolfgang Weisgram/DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.11.2009)