Das Schleifen von Bernstein ist ein Frauenberuf in Kaliningrad. Die Enklave ist eine russische Sonderwirtschaftszone, die Investitionen, auch in die traditionelle Bernstein- Verarbeitung, notwendig hat.

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Beißend liegt der Geruch des baltischen Goldes in der Luft. Bei jedem Atemzug kitzelt es unangenehm in Nase und Rachen. Den rund 30 Frauen, die in einem kleinen Raum Bernstein aussortieren und schleifen, scheint der Geruch nach Schwefel und Harz nichts auszumachen. "Man gewöhnt sich rasch daran", sagt Nastja, die seit sechs Monaten im Bernstein-Kombinat der russischen Exklave Kaliningrad arbeitet.

Für ihre mitunter nicht ungefährliche Arbeit - zum Bernstein-Geruch kommen Trennscheiben, die leicht eine Fingerkuppe abtrennen können - bekommen die Frauen weniger als 300 Euro im Monat. "Bernstein-Geruch ist nicht gefährlich", behauptet Waleri Kamitow, technischer Leiter des Kombinats. Ganz im Gegenteil: Durch die heilende Wirkung, die Bernstein seit dem Altertum zugeschrieben wird, erkrankten die Arbeiter seltener an Grippe.

Für das Bernstein-Kombinat in Jantarnij (früher: Palmnicken) ist die Weltwirtschaftskrise nichts Neues, seit dem Zerfall der Sowjetunion befindet sich das Werk in der Dauerkrise. Die Förderung ist von 800 auf 350 Tonnen zurückgegangen. Von den 2500 Arbeitern wurden bis auf 300 alle gefeuert.

"Ohne Investitionen wird es nicht gelingen, das Unternehmen zu modernisieren und wettbewerbsfähig zu machen", sagt Jurij Muchin, Vize-Generaldirektor des Kombinats. Muchin verhandelt gerade mit den Banken über einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Rubel (rund 22 Millionen Euro).

Durch seine exponierte Lage ist die russische Insel mitten in der EU ein wirtschaftliches Sorgenkind. Um zukunftsträchtigere Industrien als die Bernstein-Produktion und ausländische Investoren anzulocken, hat die Regierung 1996 eine Sonderwirtschaftszone in der Exklave eingerichtet. Investoren sind sechs Jahre von der Vermögens- und Gewinnsteuer befreit. Für die nächsten sechs Jahre gilt ein Rabatt von 50 Prozent. Bis 2006 gab es auch Zollerleichterungen, von denen vor allem Montagewerke, die die Einzelteile importieren müssen, profitierten. In Kaliningrad werden 80 Prozent aller in Russland produzierten Fernseher, 84 Prozent aller Staubsauger und zwölf Prozent aller Autos assembliert.

Seit vier Wochen fährt alle fünf Minuten ein fertig montierter Opel Astra aus dem Werkstor von Avtotor. Das Montagewerk, das Teile von 140 Zulieferern bezieht, produziert 27 Modelle der Hersteller Kia, GM und BMW für den russischen Markt. 2008 wurden 108.000 Fahrzeuge produziert. Heuer ist die Produktion um fast die Hälfte eingebrochen. Die Arbeitswoche wurde auf vier Tage verkürzt.

Mehr Kopfzerbrechen als die Krise macht Avtotor-Chef Waleri Gorbunow der seit Jahren angepeilte Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO. "Der Beitritt ist ein großes Risiko, wir würden die vorteilhaften Bedingungen verlieren", sagt der 65-Jährige.

Gouverneur Georgi Boos ist da anderer Meinung: "Man sollte nicht schwimmen lernen, wenn man nicht vorhat, ins Wasser zu gehen." Im Prinzip sei Kaliningrad durch seine Lage schon in der WTO. Mit dem Unterschied, dass sich der Handel bei einem WTO-Beitritt Russlands in beide Richtungen öffnen würde. Denn derzeit würden die Nachbarländer aus der EU landwirtschaftlichen Produkten aus Kaliningrad den Zugang zu ihren Märkten verwehren, beklagt sich der Gouverneur. (Verena Diethelm aus Kaliningrad, DER STANDARD/Printausgabe 28.11./29.11.2009)