Man mag an José Manuel Barroso vieles kritisieren, aber eines kann man dem neuen alten Präsidenten der EU-Kommission wahrlich nicht vorwerfen: dass er nicht alles unternommen habe, um es möglichst allen Recht zu machen.

Das Team, das er letztlich überraschend schnell auf die Beine gestellt hat, ist ein Paradeexemplar eines nach allen Seiten hin abgesicherten Unternehmens: zum einen gegenüber den EU-Staaten, die über die Kommissarsbesetzung so gerne direkt in die zentralen EU-Kompetenzen hineinregieren; auf der anderen Seite gegenüber den Frauen, die im Finale der Nominierungen vor einer Woche völlig zu Recht beklagten, dass viel zu wenige weibliche Kommissare vorgesehen seien; und schließlich auch gegenüber den wichtigsten Parteifamilien im europäischen Parlament, das diese Kommission erst noch mit Mehrheit bestätigen muss, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen kann.

Barroso, der eher farblose Technokrat der Macht und der Herr der EU-Paragrafen, hat eine solide, wenig spektakuläre Führungscrew auf die Beine gestellt - im engen Rahmen der Abstimmung mit den Regierungen in den Nationalstaaten, auf deren Kandidaten er ja angewiesen ist. Das muss zu Barrosos Gunsten hinzugefügt werden.
In der Tat kann der Präsident daher damit rechnen, dass er im letzten Moment nicht stolpern wird, sondern von einer Mehrheit in Straßburg getragen.

Aber ist das deshalb schon eine gute Kommission? Verspricht das Team einen Aufbruch für eine Union, die nicht nur von der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Menschengedenken gebeutelt wird, sondern seit mehreren Jahren auch von einer gewissen politischen Trägheit?
In diesem Punkt sind beträchtliche Zweifel angebracht, inhaltliche wie personelle. Denn es fällt auf, dass dieser Kommission Persönlichkeiten fehlen, Politiker, die in den vergangenen Jahren bei ihrer Tätigkeit gezeigt haben, dass sie nicht nur Programme abspulen und Verwaltungsstrukturen dirigieren können, sondern auch zur politischen Gestaltung fähig sind. Vor allem, dass sie in der Lage sind, überzeugend zu den Bürgern über Sinn und Zweck der Union zu sprechen.

Genau solche Leute fehlen aber im Zentrum der europäischen Politik, also in der EU-Zentralbehörde. Dies hat den Preis, dass EU-Politik von vielen als graues, ungreifbares Etwas wahrgenommen wird, das mit dem eigenen Leben und den eigenen Problemen wenig bis nichts zu tun habe. Das kann sich die Union aber nicht mehr leisten.

Auch inhaltlich muss man beim „Barroso-Kurs" vorsichtig bleiben. Er hat bei mehreren Vorstellungen im EU-Parlament schon so viel und alles versprochen, dass die Klarheit verlorengegangen ist. Was meint er genau, wenn er zentral einen Wirtschaftskurs des Wachstums in den Vordergrund stellt, und gleichzeitig blumig davon spricht, dass Europas Industrien ab sofort vor allem „grüne Industrien" werden müssten? Personell hat er seine Kommission jedenfalls nicht ergrünen lassen: Unter den 27 Kommissaren gibt es keinen einzigen Grünen. Dahinter steckt Kalkül. Barroso braucht die Grünen nicht, um im Parlament eine Mehrheit für seine allumfassende schwarz-rot-gelbe Koalition zu finden. Nicht zu früh sollten sich deshalb aber die Sozialdemokraten freuen: Sie wurden mit einer absolut unterprofilierten Außenministerin befriedet, aber im Sozialbereich gibt es von Barroso nur rhetorische Ansätze, kein Programm.

Bleibt Österreich: Für das Land und Johannes Hahn ist es durchaus eine Auszeichnung, dass er den wichtigen Bereich Regionalpolitik verantworten wird - ein Ergebnis, das eher trotz der Koalitionäre am Ballhausplatz, und weniger durch geschicktes Taktieren der Regierung eingetreten ist. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.11.2009)