In der Welt des Homo oeconomicus hat es eine Geisteswissenschafterin wie F. nicht immer leicht. Die konkrete, offensichtliche, quantifizierbare Nützlichkeit, nach der gefragt wird, kann ein geisteswissenschaftliches Fach nicht vorweisen.

Als Geisteswissenschafterin beschäftigt sich F. vorwiegend mit abstrakten Dingen. Es geht ihr darum, verborgene Zusammenhänge zu entdecken, sich an abstrakten Begriffen abzuarbeiten und diesen Begriffen, die sich selbst naturgemäß nicht wehren können, gelegentlich als Advokatin beizuspringen - etwa auch um die Idee eines Wortes zu verteidigen, das zu verschwinden droht, weil man ihm zu Unrecht Nutzlosigkeit vorwirft.

Daher rührt wohl auch das Unbehagen, das F. bei der Korrektur der neuen Bologna-Curricula für den Universitäts-Senat befiel. Sie vermisste darin ein Wort, ein wichtiges Wort, wie ihr schien; Das Wort "Wissen" kommt in diesen Studienplänen nicht mehr vor, weil es - per europäischer Weisung - ersetzt worden ist durch "Kompetenz" . Wissen und Kompetenz betonen nun aber zwei verschiedene Seiten ein und derselben Sache. Während Wissen, soviel wie sehen, erkennen meint und keinerlei Zweck impliziert, verhält es sich mit "Kompetenz" exakt umgekehrt: Definiert als Fähigkeit, etwas zu tun, rekurriert es unmittelbar auf den Nutzwert dessen, was man sich angeeignet hat - was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass man es auch verstanden haben muss.

Nachdem F. die offenkundige Einebnung dieser grundsätzlichen Differenz bekümmert festgestellt hat, drängen sich ihr unweigerlich einige Fragen auf:

Wenn diese Studienpläne kein Wissen mehr vermitteln, sondern nur noch Kompetenzen - hieße dies dann nicht auch, dass Universitäten ihre Studierenden über diesen Weg nicht mehr bilden, sondern nur noch aus-bilden? Dass der zweckfreie Wert Bildung also zugunsten der Nützlichkeit einer Aus-Bildung gefallen ist?

Advokatin ...

Und hieße dieser begriffliche Tausch dann womöglich auch, dass Wissen-schaft in Zukunft durch Kompetenz-schaft ersetzt würde? Dass also auch jede Wissenschaft ab sofort zweckgerichtet betrieben werden müsse? - F. will das nicht glauben. Aber je mehr sie darüber nachdenkt, desto naheliegender scheint ihr, diese Fragen wohl allesamt mit Ja beantworten zu müssen.

Aber wenn dies nun alles so wäre, so räsoniert sie weiter vor sich hin, dann müsste man die Menschen unbedingt darauf aufmerksam machen. Man müsste sie darauf hinweisen, dass genau deshalb seit 33 Tagen "die Uni brennt" , dass genau deshalb über 70 Universitäten in elf Ländern besetzt sind und genau deshalb tausende Studierende Protestaktionen durchführen. Und man müsste auch die Politik darauf aufmerksam machen, dass dieser Protest notwendig ist, weil es doch staatliche Pflicht ist, Bürgerinnen und Bürgern in einer Demokratie die Möglichkeit zu bieten, sich bestens wappnen zu können gegen eine immer komplexer werdende und daher immer schwieriger zu begreifende Welt - indem man Bedingungen schafft, die ihnen die Chance eröffnet, Zusammenhänge verstehen zu lernen.

Genau dafür waren bisher Universitäten auch da. Eben dies war immer das letzte Ziel jeder Bildung, jeder Wissenschaft: diese Welt - zunächst vollkommen zweckfrei - besser zu verstehen.

... des Wissens

Wenn aber nun diese Universitäten in Zukunft zu Ausbildungsstätten mutieren sollen, die in Rekordzeit mundgerechte Akademikerhäppchen für den Arbeitsmarkt produzieren, dann wäre die freie Bildung wohl endgültig verloren.

Und das, so kommt F. zum Schluss, ja, das müsste man bei Gelegenheit alles wohl genau so unbedingt zur Sprache bringen. Man wäre als Geisteswissenschafterin, als Advokatin von Begriffen und Werten, dazu verpflichtet, dies zu tun, um für diesen Begriff der freien Bildung, für diesen kostbaren Wert, zu sprechen.

Eigentlich hätte F. ja eine Dankesrede schreiben sollen. Aber wenn einem so großen Begriff wie dem der Bildung gerade der Prozess gemacht wird, kann sie nicht schweigend dabei zusehen. Ein Text wie dieser hier würde hoffentlich erklären, warum sie das nicht kann. Und im Grunde versteckt sich darin ja auch eine große Dankbarkeit - dafür nämlich, über Jahre hinweg herrlich zweckfreie, dafür aber sehr sinnvolle Bildung genossen haben zu dürfen. (Friederike Gösweiner, DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2009)